Guido Vignelli
Ökologischer
Paradigmenwechsel
Es
ist allgemein bekannt, dass das in unserer Gesellschaft noch vorhandene wenige
und stabile Gute, Überreste der christlichen Zivilisation sind. Dieselbe
Zivilisation, die vor zweitausend Jahren begründet wurde, ermöglichte es den
Menschen das aufzubauen, was zu Unrecht als mittelalterliches Christentum
bezeichnet wird.
Heute
versucht die vorherrschende intellektuelle Klasse, die sinkende „moderne
Zivilisation“ durch eine „neue kulturelle Synthese“ zu ersetzen, durch die Entwicklung
einer neuen Vorstellung von Welt, Mensch und Gott.
Während
des gesamten 20. Jahrhunderts versuchten Säkularisten (Areligiöse) und
Christdemokraten, ein Programm aufzulegen, zur Förderung eines nachchristlichen,
säkularen (rein weltlichen) „integralen (ganzheitlichen) Humanismus“, der weder
religiös noch atheistisch sei sollte. Das Ergebnis war, dass die katholische
Welt diese Säkularisierung aufnahm, die dann Entchristianisierung der
Gesellschaft herbeiführte.
Heute
bemühen sich Philosophen, Soziologen, Politikwissenschaftler, und sogar
Theologen, einen „neuen Humanismus“ zu erfinden, der ein „gemeinsames Zuhause“
schaffen soll, um die moderne Gesellschaft vor ihren Widersprüchen und Krisen
zu befreien.
Dieses
Programm enthält jedoch Paradoxien, die an Provokationen grenzen. Der
gepriesene „neue Humanismus“ besteht eigentlich aus einer „ganzheitliche Ökologie“,
die den Menschen zu einem Bestandteil der Umwelt reduziert. Das geplante
„gemeinsame Haus“ wird auf eine sozio-biologische Umwelt reduziert, die mit dem
Ökosystem Erde identisch ist. Die gewünschte „neue Zivilisation“ würde sich aus
der Verabschiedung von den kulturellen, sozialen und politischen Grundlagen der
traditionellen und christlichen Zivilisation ergeben.
Dieses
Programm schließt jegliche Bezugnahme auf die Erlösung, das Heil der Seele, das
übernatürliche, ewige Leben oder sogar auf Gott aus. Es basiert auf einer
irdischen und immanenten Auffassung der Welt, des Menschen und der Religion.
Diese
Standpunkte und Vorschläge sind bereits in der Enzyklika von Papst Franziskus
zu finden, die sich der Ökologie widmet (Laudato si, 2015). Die
Vorbereitungskommission der kommenden Oktober-Sondersynode der Bischöfe über
Amazonas hat sie unter dem Motto eines neuen Paradigmas auf die Spitze
getrieben: „Ganzheitliche Ökologie“.
Im
Vorwort des offiziellen Vorbereitungsdokuments der Synode wird die Bekehrung von
Völkern, Staaten und sogar der Kirche vorgeschlagen durch die Einführung eines „ganzheitlichen
Entwicklungs- und Ökologieprozesses“, der darauf abzielt, „Vielfalt“ und „Pluralismus“
in allen Bereichen zu fördern, nicht nur im Umweltbereich, aber auch im menschlichen,
das heißt sozial, kulturell und sogar religiös.
Das Programm für eine „ganzheitliche Ökologie“
Lassen
wir uns nicht von der Bezeichnung „ganzheitlich“ täuschen, das die Synode vor
dem Wort „Ökologie“ setzt. Solche Manöver erwecken den Eindruck, dass es sich
um eine integrale Ideologie handelt, die nicht vermindernd und parteiisch, sondern
ausgewogen und kohärent ist, da sie sich mit allen Aspekten der Realität
befasst.
Im
Gegenteil, diese Ökologie ist nicht in eine christliche Auffassung integriert,
sondern diese ist in ein ökologisches Programm integriert. Religion, Kultur und
Zivilisation werden im Ökosystem auf Umweltfaktoren reduziert, die mit dem
Planeten Erde identifiziert werden, wie dies im Vorbereitungsdokument
(insbesondere in Teil II, Abschnitt 9) eindeutig zu finden ist.
Dieser
Ökologismus ist eine Ideologie, die behauptet, die traditionelle hierarchische
Vision der Beziehung zwischen der Welt, dem Menschen und Gott stürzen zu wollen.
Die göttliche Offenbarung stellt die Schöpfung in den Dienst des Menschen, den
Menschen in den Dienst der Kirche und die Kirche in den Dienst Gottes. Das neue
ökologische Programm dreht diese Abfolge um und stellt Gott und die Kirche in
den Dienst der Integrität des Menschen und den Menschen in den Dienst der
Integrität der Natur. Diese natürliche Integrität besteht aus kosmischer Bioverschiedenheit
und Umweltbalance (umweltliches Gleichgewicht). Das genannte Dokument versucht,
diese neue Anordnung zu rechtfertigen, indem es behauptet, dass in der
Schöpfung „alles miteinander verbunden ist“ (Nr. 13). Alle Elemente dieses
Schemas sind auf gleichgeschalteter Basis miteinander verbunden.
Bei
dem Versuch, die Massen und Völker zu verführen, müssen Ökologen die
ursprünglichen und atavistischen Gefühle und Instinkte des Menschen ausnutzen,
einschließlich religiöser oder para-religiöser Natur. Obwohl oft von Atheisten
oder Agnostikern angepriesen, bekennt sich die „ganzheitliche Ökologie“
implizit zu einer eigenen Religion: der Verehrung der Mutter Erde, wie sie in
der Kosmolatrie (Anbetung des Kosmos) oder im „Kult der Gaia“ konkretisiert
wird.
Ökologen
haben auch einen eigenen (falschen) Prophetismus von apokalyptischer Art, der
sich in Vorhersagen einer bevorstehenden Umweltkatastrophe äußert. Obwohl diese
Prognosen von Zeit zu Zeit von den Fakten geleugnet werden, werden sie von den
Ökologen weiterhin als unmittelbar bevorstehend eingestuft, wenn sie auch hartnäckig
immer wieder auf ein zukünftiges Datum gedrängt werden.
Diese
apokalyptische Besessenheit ähnelt dem Fanatismus der Zeugen Jehovas so sehr,
dass Umweltkatastrophisten nun als „Zeugen Gaias“ oder der Mutter Erde
gebrandmarkt werden. Diese beiden Zeugen fordern die Öffentlichkeit auf, blind
ihren terroristischen Vorhersagen zu vertrauen, auch wenn diese stets durch
Ereignisse geleugnet und ständig verschoben werden. Darüber hinaus, wie
Psychologen sagen, „diejenigen, die die Angst regieren, regieren die
Gesellschaft“.
Ein
solcher Ökologismus ist also wirklich unnatürlicher Götzendienst und
widerspricht der Zivilisation. Es setzt eine Vision Gottes, der Welt und des
Menschen zwischen modernem Materialismus und „postmodernem“ Pantheismus voraus.
Deshalb ist die „Integrative Ökologie“ tatsächlich ein Faktor des Zerfalls von
Religion, Kultur und Gesellschaft.
Recycling gescheiterter Ideologien
Bei
den Bemühungen der ökologischen Bewegung um Recycling handelt es sich nicht um
Abfall, sondern um Konzepte, Pläne und Mottos alter revolutionärer Ideologien
wie des Marxismus und des noch utopischeren Sozialismus. Sie ist erfahren darin,
alle an die aufkommenden kulturellen Krisen anzupassen und neue Strategien zu
formulieren, um die öffentliche Meinung zu erobern.
Karl Marx |
Zum
Beispiel haben Umweltschützer den Kampf des Proletariats instrumentalisiert, um
vom kapitalistischen System „entfremdete“ Wirtschaftsgüter zurückzugewinnen.
Sie tun dies, indem sie den Kampf des Subproletariats der Dritten Welt reciceln,
um vom Weltkapitalismus „beschlagnahmtes und ausgebeutetes“ Land
zurückzuerobern. Sie beschuldigen die Kapitalisten, eine „ausbeutende“
produktivistische und konsumistische Wirtschaft zu verbreiten, die die
„ursprüngliche Unschuld“ des Menschen verderbt und die Autonomie der
„Peripherien der Welt“ „unterdrückt“.
Darüber
hinaus greift der Ökologismus den Mythos des „edlen Wilden“ aus dem 18.
Jahrhundert und das Motto des 19. Jahrhunderts auf, das eine „Rückkehr zur
Barbarei“ forderte und auf die städtischen proletarischen Massen anspielt, die
evangelisiert werden müssen. Diese Ideologie wandelt dieses Motto in ein neues
um und fordert eine „Rückkehr zu den Wilden“, die auf Bevölkerungsgruppen in
„Peripherien der [Dritten] Welt“ anspielt, die von der fortgeschrittenen
Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Die
„religiösen Umweltschützer“ kehren das Konzept der Evangelisierung um. Zum
Beispiel sollten Völker und Stämme wie die im Amazonasgebiet nach dem oben
erwähnten Vorbereitungsdokument (Nr. 13) nicht von der Kirche evangelisiert
werden, sondern die Kirche muss sich von ihnen evangelisieren lassen.
In
Bezug auf ihr Modell der „nachhaltigen Wirtschaft“ recyceln Ökologen das alte
Modell des utopischen Sozialismus (ab Fourier). Sie schlagen eine Ablehnung
nicht nur des Konsums, sondern auch des Marktes, der Industrie und des
Privateigentums vor. Während dieses Projekt behauptet, eine Gesellschaft zu
schaffen, die „nüchtern, sparsam und glücklich“ wäre, schafft es tatsächlich Armut
und sowohl wirtschaftliches als auch moralisches Elend.
Von der Stadt als Zivilisationszentrum
in den Dschungel als unzivilisierten Rand
Das
Leben in der Gesellschaft basiert nicht nur auf Religion, sondern auch auf
einer rechtsstaatlich politisch organisierten Zivilisation. Das Wort
„Zivilisation“ stammt aus dem Lateinischen civitas
und bedeutet Stadt, verstanden als stabile Gemeinschaft, die in städtischen
Zentren organisiert ist. Das Wort „politisch“ kommt von der griechischen polis, was auch Stadt bedeutet, und
bezieht sich auf Stadtverwaltung und Regierung. Das Wort „Gesetz“ spielt auf
das griechische jusand und das
lateinische rectitude an. Daher kann
eine einfache private Gewohnheit oder ein öffentlicher Brauch nicht durch die
bloße Tatsache gerechtfertigt werden, dass es sich um eine „gelebte Situation“
handelt, wie es heute heißt, sondern muss dazu tendieren, den Zustand eines
objektive Gutes zu erreichen.
Die
Geschichte zeigt, dass Hochkulturen geboren werden, wenn menschliche Familien
oder Gemeinschaften das nomadische Leben der Jäger aufgeben oder das sesshafte
Leben der Sammler entwickeln, sich in stabilen Städten vereinen, sich politisch
unter einer Autorität organisieren und sich mit dem öffentlichen Recht
regieren, was historisch gesehen, korrigiert und durch christliches Recht
bereichert werden kann.
Im
Gegensatz dazu ersetzt die von Ökologen geträumte „neue Zivilisation“ nicht nur
die Stadt durch den Wald, die Politik durch die Ökologie, sondern ersetzt auch
die Rechtsstaatlichkeit durch die tatsächliche Situation der wilden Stämme,
deren Ideen und Bräuche koste es, was es wolle, gerechtfertigt und gefördert
werden müssen. Ökologen lehnen nicht nur den Kapitalismus oder die
Technokratie, sondern auch den Staat, die Stadt und sogar die Familie ab und
ersetzen sie durch eine Gemeinschaft von Gütern und eine spontane und
gelegentliche Gemeinschaft oder einen Stamm, d.h. jene primitiven Formen der Vereinigung,
die typisch sind für barbarische oder wilde Gemeinschaften, die ihre Mitglieder
mit einem wirklich bürgerlichen Leben nicht versorgen können, geschweige denn
einem fortgeschrittenen.
Dieselbe
ideologische Propaganda, die die politischen Verfassungen und die (für jedermann
anzuerkennenden) Staatsbürgerschaftsrechte hochlobt, fördert paradoxerweise
eine „integrale Ökologie“, die die Grundlagen der Zivilgesellschaft ablehnt,
die sich nicht nur in Politik oder Recht, sondern auch in Kultur und Familie
manifestiert. So bereitet die „neue ökologische Zivilisation“ tatsächlich eine
Art Anti-Zivilisation vor.
Giambattista Vico |
Dieses
ökologische Programm steht im Einklang mit der Zivilisationsdiagnose des
bekannten italienischen Philosophen und Historikers Giambattista Vico in der
ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, die er als durch die „sinnlose Kultur“
der Aufklärung korrodiert sah. Vor drei Jahrhunderten argumentierte er, dass
Zivilisationen, die auf unorganisierte Weise Fortschritte machen, dazu neigen,
ihre moralischen und religiösen Wurzeln zu leugnen und in eine zynische und
unheilige Anti-Zivilisation geraten, die sie in den barbarischen oder wilden
Staat zurückversetzt. Diese Regression ist sehr gefährlich, weil sie
fortschrittliche konzeptionelle und technologische Instrumente in den Dienst
unmoralischer und unordentlicher Leidenschaften stellt. Vico kam zu dem Schluss,
dass die einzige Rettung von dieser Gefahr darin bestehe, den überlebenden
religiösen und moralischen Geist im Bewusstsein der Bevölkerung
wiederherzustellen. Diese Lösung sollte für die heutige sterbende Zivilisation
vorgeschlagen werden.
Guido
Vignelli
Ist
Geisteswissenschaftler für Ethik, politische Philosophie und Kommunikation.
1982 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des Centro Culturale Lepanto und
1987 der Associazione Famiglia Domani, beide in Rom. Von 2001 bis 2006 war er
Mitglied der von der italienischen Präsidentschaft im Ministerrat
eingerichteten Kommission für Familienforschung. 2015 arbeitete er mit der Aktion
„Ergebene Bitte“ zusammen, einer weltweiten Kampagne, in der Papst Franziskus
aufgefordert wurde, in die Bischofssynode für die Familie zu intervenieren und deren
unklare Aussagen zu korrigieren. Er ist Autor des Buches „Eine Pastorale
Revolution“ und Schüler von Professor Plinio Corrêa de Oliveira.
----------------
Anm.:
Nicht alle Ideen in diesem Artikel spiegeln notwendigerweise die Position von Pan-Amazon Synod Watch und diesem Blog wider.
Quelle
des englischen Originals in
http://panamazonsynodwatch.info/articles/commented-news/integral-ecology/
vom
26.06.2019
©
Nachdruck der deutschen Fassung ist mit Quellenangabe gestattet.
In
signierten Artikeln veröffentlichte Meinungen und Konzepte liegen in der
alleinigen Verantwortung der Autoren.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen