Mittwoch, 7. August 2019

Die 4. Revolution und der Tribalismus — eine Möglichkeit



Hinsichtlich des Vorbereitungsdokument zur Amazonas-Synode („Amazonien: neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“) geben wir hier ein Abschnitt des 3. Teils des Buches „Revolution und Gegenrevolution“ von Plinio Corrêa de Oliveira wieder, den er 1977 der ursprünglichen Fassung von 1959 hinzufügt hat.

Bekanntlich sahen weder Marx noch die Mehrheit seiner bekanntesten „orthodoxen“ oder „heterodoxen“ Anhänger in der Diktatur des Proletariats die Endstufe des Revolutionsprozesses. Diese mache lediglich den wesentlichsten, dynamischsten Aspekt der Weltrevolution aus.

So wie in der  Entwicklungsmythologie — welche das Denken Karl Marx’ und seiner Anhänger bestimmt — die Evolution in der Abfolge der Jahrhunderte niemals enden würde, würde auch die Revolution selbst kein Ende nehmen. Aus der I. Revolution sind bereits zwei weitere hervorgegangen und die dritte wird eine weitere gebären. So gehe es immer weiter...
Innerhalb der marxistischen Perspektive ist es unmöglich vorauszusagen, wie eine Revolution Nr. XX oder Nr. L aussehen würde. Es ist jedoch möglich vorauszusehen, wie die IV. Revolution aussehen wird. Die Marxisten selbst haben diese Voraussage bereits gemacht:
Sie wird aus dem Zusammenbruch der Diktatur des Proletariats infolge einer neuen Krise entstehen, bei welcher der übersteigerte Staat seiner eigenen übermäßigen Vergrößerung (Hypertrophie) zum Opfer fallen wird. Mit dem Verschwinden des Staates wird ein wissenschaftlich-kooperativer Zustand anbrechen, in dem der Mensch nach Meinung der Kommunisten eine bisher unvorstellbare Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erreicht haben wird.
Wie soll das geschehen? Man fragt sich unvermittelt, ob jene Stammesgesellschaft, die von den Strukturalisten unserer Tage erträumt wird, nicht eine Antwort auf diese Frage weiß. Der Strukturalismus sieht im Stammesleben eine zukunftsweisende Synthese zwischen höchster individueller Freiheit und allgemein akzeptiertem Kollektivismus. In dieser Synthese wird der Kollektivismus schließlich die Freiheit verschlingen. Gemäß den Ideen des Kollektivismus verschmelzen die verschiedenen „Ich“ bzw. Einzelpersonen mit ihrem Verstand, ihrem Willen und ihrem Gefühl, sowie mit den entsprechenden charakteristischen, oft auch konfliktbeladenen Lebensweisen. Dadurch sollen sich die Menschen in der Einheit des Stammes auflösen und eine einheitliche Art des Denkens und Wollens, sowie ein gemeinsames Daseinsgefühl hervorbringen.

Der Weg zu diesem „tribalen Zustand“ führt wohlgemerkt über die Auslöschung der überkommenen, individuell ausgerichteten Normen des Denkens, Wollens und Fühlens, die nach und nach einer immer kollektiveren Form des Denkens, Entscheidens und Fühlens weichen müssen. Der Wandel wird sich demnach vor allem auf diesem Gebiet abspielen.
Auf welche Weise soll dieser Wandel geschehen? Im Naturvölkerstamm wird der Zusammenhalt unter seinen Mitgliedern vor allem von einem gemeinsamen Denken und Fühlen garantiert, aus dem sich gemeinsame Gewohnheiten und ein gemeinsames Wollen ergeben. Unter diesen Bedingungen beschränkt sich die Vernunft des einzelnen auf kaum mehr als nichts. Mit anderen Worten, sie beschränkt sich eben nur auf jene ursprünglichsten, elementarsten Regungen, die ihr verkümmerter Zustand erlaubt. Ein sogenanntes „wildes Denken“ (19), das eben nicht mehr eigenständig denkt, sondern sich nur dem Konkreten zuzuwenden vermag. Das ist der Preis des kollektivistischen Aufgehens im Stamm. Dem Schamanen fällt die Aufgabe zu, dieses kollektive Seelenleben auf mystischer Ebene am Leben zu erhalten. Dies geschieht durch totemistische Kulthandlungen, die sowohl voll verworrener „Botschaften“ sind, als auch „reich“ an Irrlichtern aus der Welt der Transpsychologie und der Parapsychologie. Der Erwerb dieser scheinbaren „Reichtümer“ soll der Ausgleich sein für die Verkümmerung der Vernunft.
Die Vernunft, die früher von der Denkfreiheit, vom Kartesianismus usw. übersteigert, von der Französischen Revolution vergöttlicht und von der kommunistischen Denkschule bis zum äußersten missbraucht wurde, verkümmert nun und ordnet sich schließlich als Sklavin dem transpsychologischen und parapsychologischen Totemismus unter.
 „Omnes dii gentium daemonia“, sagt die Heilige Schrift.(20)
Inwieweit ist der Katholik in der Lage, in dieser strukturalistischen Sichtweise, welche die Magie als Erkenntnisform verkündet, sowohl den trügerischen Glanz, als auch den zugleich finsteren und lockenden, gefühlvollen und irren, gottlosen und fetischistisch „leichtgläubigen“ Gesang zu durchschauen, mit dem der Herr der Finsternis aus seinem ewigen Abgrund heraus jene Menschen an sich zieht, die Christus und seine Kirche verleugnet haben?
Zu dieser Frage können und sollen sich die Theologen äußern, und zwar die wenigen wahren Theologen, die noch an Teufel und Hölle glauben. Vor allem aber die Wenigen unter diesen Wenigen, die noch den Mut haben, zu sprechen, sowie bereit sind, Spott und Verfolgung der Medien auf sich zu nehmen.

Quelle: Plinio Corrêa de Oliveira „Revolution und Gegenrevolution“, TFP Deutschland, 2013, S. 177ff.



(19) Vgl. Claude Lévy-Strauss, La pensée sauvage, Plon, Paris 1969
(20) Nichts als Teufel sind alle Götter der Heiden“. Psalm 96,5

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