VII. Eigenes
Gewissen und Lehramt
41. FRAGE: Hat die Kirche
überhaupt das Recht, sich in das Privatleben der Menschen einzumischen?
ANTWORT: Die Kirche ist keine
Kulturlobby, die eine Ideologie verkündet, sondern eine Gesellschaft göttlichen
Ursprungs, die von Jesus Christus den Auftrag bekommen hat, die Seelen zur
Wahrheit, zur Heiligkeit und zum ewigen Heil zu führen. Da dieses Heil vor
allem von der moralischen Rechtschaffenheit des privaten Lebens eines jeden
Einzelnen abhängt, hat die Kirche die Pflicht und daher auch das Recht, die
Menschen zu leiten und zu belehren, um sie zum Heil und nicht zur Verdammnis zu
führen.
42. FRAGE: Die Sittenlehre der
Kirche enthält nur allgemeine Regeln, die auch nicht absolut sind; wäre da
nicht Raum für zahlreiche Ausnahmen im Einzelfall?
ANTWORT: Eventuelle Ausnahmen
können die Regel nicht außer Kraft setzen, sondern bestätigen sie eher, wie es
sprichwörtlich heißt. Im Einzelfall berücksichtigt die Kasuistik natürlich
belastende, mildernde oder verhindernde Umstände, doch diese ändern den
absoluten Charakter der Prinzipien und die Richtigkeit des Urteils nicht.
„Nun bezeugt die Vernunft,
dass es Objekte menschlicher Handlungen gibt, die sich »nicht auf Gott
hinordnen« lassen, weil sie in radikalem Widerspruch zum Gut der nach seinem
Bild geschaffenen Person stehen. Es sind dies die Handlungen, die in der
moralischen Überlieferung der Kirche ,in sich schlecht‘ (intrinsece malum),
genannt wurden: Sie sind immer und an und für sich schon schlecht, d.h. allein
schon aufgrund ihres Objekts, unabhängig von den weiteren Absichten des
Handelnden und den Umständen“ (hl. Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis
Splendor, Nr. 80).
43. FRAGE: Bedeutet die
„Freiheit der Kinder Gottes“ nicht, dass wir, wie es ein Bischof sagte, „die
Entscheidungen, die die Menschen nach ihrem eigenen Gewissen treffen,
respektieren sollen“?
ANTWORT: Persönliche Entscheidungen
sind legitim, wenn sie der Wahrheit und der Gerechtigkeit entsprechen. Dazu
reicht es nicht aus, dass sie mit „Aufrichtigkeit“ getroffen wurden. Das
persönliche Gewissen ist nicht unfehlbar und ebenso wenig ist der Wille frei
von Sünde, wie es eine liberale und freiheitliche Ideologie vorgeben will.
„In ihrem ganzen Verhalten
seien sich die christlichen Gatten bewusst, dass sie nicht nach eigener Willkür
vorgehen können; sie müssen sich vielmehr leiten lassen von einem Gewissen, das
sich auszurichten hat am göttlichen Gesetz“ (Gaudium et Spes, Nr. 50).
44. FRAGE: Viele denken, dass
wir das Primat des Gewissens betonen sollten. Wäre es nicht allgemein besser,
die Lösung der moralischen Probleme dem Gewissen der Menschen zu überlassen?
ANTWORT: Ehe- und
Familienanliegen haben in ganz wesentlichem Ausmaß sozialen und öffentlichen
Charakter, und die Ehe ist in ganz besonderer Weise heilig und daher für die
Kirche von Bedeutung. Vor allem aber kann das Gewissen dann ein gerechtes Urteil treffen, wenn es
gut gebildet und informiert ist.
Das Gewissen allein ist in
vielen Fällen nicht ausreichend, um gerechte Lösungen für moralische Probleme
zu finden – aus vielen Gründen, die von Unvermögen bis zur völligen Verwirrung
reichen können. Vor allem ist niemand ein unfehlbarer und unparteiischer
Richter seiner selbst. Warum sonst würden wir die Gerichtshöfe, wie zum
Beispiel den Kirchlichen Gerichtshof, überhaupt benötigen?
„Nur wenn der Mensch sich an
die von Gott in seine Natur eingeschriebenen und darum weise und liebevoll zu
achtenden Gesetze hält, kann er zum wahren, sehnlichst erstrebten Glück
gelangen“ (sel. Paul VI., Humanae Vitae, Nr.
31).
45. FRAGE: Läuft man da nicht
Gefahr, das persönliche Gewissen zu unterdrücken, gerade in Fragen der Moral?
ANTWORT: Das Gewissen an die
Verpflichtungen zu binden, die es gegenüber der Wahrheit und der Gerechtigkeit
hat, bedeutet nicht, es zu unterdrücken; im Gegenteil, eine solche Bindung
bedeutet eher eine Befreiung, weil ihm dadurch die Gelegenheit gegeben wird,
seine eigene Finalität und seine Pflicht zu erkennen und zu erfüllen. Die
Ehrbarkeit des Gewissens liegt gerade in der freien Abwägung und dem freien
Gehorsam gegenüber dem natürlichen und göttlichen Gesetz.
„Das Gewissen ist nicht von sich
her Richter über den sittlichen Wert der Taten, die es anregt. Das Gewissen ist
Vermittler einer inneren und höheren Norm, die es nicht selbst geschaffen hat.
(…) Es ist nicht die Quelle des Guten und des Bösen. Es ist der Hinweis, die
Wahrnehmung einer Stimme, die gerade deshalb die Stimme des Gewissens genannt
wird. Es ist der Hinweis der Übereinstimmung der Handlungen mit dem inneren
Bedürfnis des Menschen zur Wahrheit und zur Vollkommenheit zu streben. Es ist,
mit anderen Worten, die subjektive und sofortige Aufforderung eines Gesetzes,
das wir natürlich nennen müssen, wenn auch heute viele Menschen nichts mehr von
natürlichem Gesetz hören wollen“ (sel. Paul VI., Ansprache vom 12. Februar
1969).
46. FRAGE: Wenn selbst
praktizierende Katholiken gewisse sexuelle Praktiken schon nicht mehr als gegen
die kirchliche Lehre verstoßend empfinden, wie kann man von ihnen verlangen,
dass sie einer Lehre folgen, die sie nicht mehr verstehen und auch nicht mehr
annehmen wollen?
ANTWORT: Es gibt viele Bereiche,
in denen der Mensch verpflichtet ist, anzunehmen, was er nicht versteht oder
nicht verstehen will, und trotzdem bleibt die Pflicht bestehen. Die Tatsache,
dass man eine Anforderung nicht versteht, entbindet einen nicht von der
Pflicht, sie zu erfüllen. Der Mangel an Verständnis für ein Verbot kann
höchstens die subjektive Verantwortung des Gläubigen mindern; das Verbot selbst
hebt er aber nicht auf.
Wenn eine Sittenlehre von den
Gläubigen nicht mehr verstanden wird, so liegt das jedenfalls nicht an der
Lehre; die Schuld tragen diejenigen, deren Aufgabe es gewesen wäre, diese Lehre
klar und überzeugend zu verkünden.
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