Dienstag, 15. September 2015

Vorrangige Option für die Familie - Vorwort und Einleitung




Vorwort

Es ist für alle offensichtlich, dass die Institution der Familie in vielen Teilen der Welt eine echte und tiefe Krise durchläuft. Es wäre nicht klug, diese Krise zu ignorieren oder zu leugnen: sie muss analysiert werden, ihr Ausmaß muss ermittelt werden und es müssen Mittel gefunden werden, sie zu überwinden. Das Heft mit dem Titel „Vorrangige Option für die Familie“, das ich hier vorstelle, soll einen Beitrag dazu leisten.

Die Krise der Familie ist nicht die einzige, die die Welt heute belastet. Es gibt auch andere Krisen und nicht selten zeigen sich wechselseitige Einflüsse und Zusammenhänge zwischen ihnen. Der Gebrauch der Lüge und Verstellung in all ihren Formen als legitimes Mittel zur Bewältigung von schwierigen Situationen, die Vermehrung egoistischer Vorgehensweisen, die skandalösen Unterschiede zwischen denen, die einen übertriebenen und sogar luxuriösen Wohlstand genießen und der Masse derer, denen selbst das fehlt, die monströse Ausbreitung des Drogenhandels und viele andere Situationen, die die Grundlagen des menschlichen Zusammenlebens bedrohen, sind Beispiele dafür.

Manche glauben, dass die Lösung dieser Probleme in erster Linie in der Erlassung immer neuer Gesetze und Kontrollen zu finden ist. Ohne die Wirksamkeit dieser Mittel gering zu achten, sollten Christen sich jedoch der Worte Jesu erinnern: „Denn aus dem Herzen kommen böse Gedanken, Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl falsche Zeugnis und Lästerung. Das ist es, was den Menschen verunreinigt“ (Mt 15,19-20 und Mk 7,21-23). Das wichtigste ist demnach die Bekehrung des Herzens, ohne die alle äußeren Mittel nur eine vorübergehende und begrenzte Wirkung haben können.

Doch die Bekehrung des Herzens setzt eine radikale Läuterung der Gedanken voraus, wie der hl. Paulus mahnt: „Macht euch nicht die Art dieser Welt zu eigen, sondern wandelt euch um durch Erneuerung eures Denkens, um zu prüfen, was der Wille Gottes ist, was gut, wohlgefällig und vollkommen“ (Röm 12,2). Viele Erscheinungen dieser Welt tragen den Stempel des Bösen (vgl. 1 Joh 5,19), dessen, den Jesus „Lügner und Vater der Lüge“ nennt (Joh 8,44), der seine Spuren mit Vorliebe in Irrtümern unter dem Schein von Wahrheiten verbirgt und den Menschen den Blick auf das wahrhaft Gute und Richtige verstellt.

Natürlich fordert die Bekehrung der Herzen im Bereich der er Familie eine Erkenntnis des Wesens der Familie, als ein Abbild der ehelichen Liebe zwischen Gott und seinem Volk und zwischen Christus und seiner Kirche. Die christliche Familie entsteht aus einem sakramentalen Bund , einer Ausgießung von Gnaden, und stellt als solche eine Berufung zu Heiligkeit für diejenigen dar, deren Aufgabe es ist, ihrem Glauben im Ehestand und in den elterlichen Verantwortungen zu leben. Diese beschränken sich nicht auf das weltliche Wohlergehen, sondern müssen im Laufe unserer irdischen Pilgerschaft mit Hilfe der Gnade verwirklicht werden, um mit Freude zum Ziel der Herrlichkeit und Seligkeit zu gelangen, zu dem wir durch unsere Taufe berufen sind.

Die christliche Familie ist von ihrem Wesen her eine religiöse Einrichtung, und sie ist es in ihrer wesentlichsten Substanz; diese Eigenschaft ist nicht eine von vielen, die vorhanden sein kann oder nicht, sondern sie macht das Wesen der Familie als solche aus. Für christliche Eheleute gilt, wie für jeden Jünger Christi, die programmatische Aussage des hl. Paulus: „ ... denn leben wir, so leben wir dem Herrn“ (Röm 14,8). Das gilt unter allen Umständen; nichts darf von der köstlichen Folge der Weihe in der Taufe verloren gehen, und die Eheleute sind berufen, sie in der „Hauskirche“ zu leben. Daher die Verantwortung der Eltern, den Kindern den Glauben zu vermitteln und die Wichtigkeit der täglichen Gebete in der Familie vor dem Hausaltar.

Die Mitglieder der Familie können, wie alle Christen, Schwächen haben oder gar sündigen. In diesem Fall steht ihnen die Möglichkeit offen, sich in die unendliche und väterliche Barmherzigkeit Gottes zu flüchten, der sie zur Bekehrung durch ernsthafte Reue aufruft. Nach dem Konzil von Trient ist „die Reue der Schmerz und der Abscheu der Seele über die begangene Sünde mit dem Vorsatz künftighin nicht mehr zu sündigen“ (Katechismus des Konzils von Trient, 3. Teil, Kapitel V, Nr. 23).

Jorge A. Kardinal Medina Estévez


Einleitung


Was ist dieses Heft?

Es ist ein Handbuch, ausgearbeitet auf der Basis eines Frage- und Antwortschemas, das in klarer und einfacher Weise einige besonders aktuelle Themen über die Lehre der Kirche zu Ehe und Familie behandelt.

Es sollen darin heikle, aber fundamentale Themen über die Familie in der modernen Welt aufgegriffen werden - nicht nur die, die im vergangenen Jahr von der Außerordentlichen Bischofssynode behandelt wurden, sondern auch andere Themen, die regelmäßig in der Debatte zwischen – gläubigen und nicht-gläubigen -Intellektuellen, Journalisten und Kritikern auftauchen, die sich wünschen, ihre Sicht der Dinge von der katholischen Kirche übernommen zu sehen.

Viele dieser Themen werden wahrscheinlich im Rahmen der nächsten Synode behandelt werden. Wir können sicher sein, dass die Diskussion in den Massenmedien, Internet-Foren und sozialen Netzwerken, die heute wahrscheinlich den größten Einfluss auf die öffentliche Meinung haben, noch lange weitergeführt werden wird.

Welche Reichweite wird dieses Studienheft haben?

Das Thema Familie ist sehr umfassend und eine wirklich erschöpfende Behandlung würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Wir wollen uns dennoch bemühen, den vielfältigen Fragen, die sich daraus für die Pastoral der Kirche ergeben, Rechnung zu tragen, indem wir insbesondere auf die folgenden Hauptthemen eingehen: die Ehe als sozialer Stand; die Familie als kleinste Einheit der Kirche; die Berufung zur Heiligkeit in der Ehe; das Gebet in der Familie; die Aufgabe der Eltern als erste Verkünder des Evangeliums an ihre Kinder. Über jeden einzelnen dieser Punkte könnte man ein eigenes Werk verfassen, was für die Evangelisierung der Familie von großem Nutzen wäre. Wir hoffen sehr, dass diese Themen auf der Synode 2015 behandelt werden.

Die Pastoral unserer Zeit verlangt aber auch Klarheit und eindeutige Aussagen zu den entscheidenden Themen, die während der Synode zur Sprache kamen und die teilweise infolge der Auslegung durch verschiedene theologische Schulen und vor allem infolge der massiven Propaganda in den Massenmedien fehlinterpretiert wurden. Es ist daher wichtig, hier einige Grundwahrheiten der katholischen Lehre sowie auch unverzichtbare pastorale Anforderungen im Hinblick auf die Familie wieder in den Mittelpunkt der Diskussion zu stellen, denn die tatsächliche Situation der Familie ist in Wirklichkeit ganz anders, als man uns gerne glauben machen möchte.

An wen richtet sich dieses Heft?

Wir wenden uns vor allem an Bischöfe, Priester und Ordensleute, Katecheten und Laien, die in der Kirche verantwortungsvolle Positionen bekleiden. Wir wollen aber auch allen Laien, die die wachsenden Probleme der Familie in der heutigen Zeit mit Besorgnis verfolgen, Argumente zur Verfügung stellen, mit denen sie der antifamiliären Offensive der mächtigen Massenmedien entgegentreten können. Für sie soll dieses Heft eine Art Handbuch darstellen, das ihnen zur Orientierung dienen kann.


*    *    *    *
Forsetzung: Vorrangige Option für die Familie I

Keine Kommentare: