III: Die Kirche und die Familie
15.
FRAGE: Schon mehrere Synoden haben sich in der Vergangenheit besonders mit dem
Thema Familie beschäftigt. Warum muss das heute noch einmal geschehen?
ANTWORT: Weil die Familie die persönliche, gesellschaftliche
und historische Realität jedes Menschen ganz besonders tief prägt. Außerdem ist
die Familie nicht nur die Keimzelle der Gesellschaft und das „Heiligtum des Lebens“ sondern auch und
vor allem die „Hauskirche“ (Lumen Gentium, Nr. 11).
Die Familie
ist heute einem Prozess ausgesetzt, der nicht nur ihre Lebensbedingungen zu
verändern droht, sondern auch ihr genetisches Erbe, wie schon mehrere
Soziologen gewarnt haben (s. z.B. Pierpaolo Donati, Famiglia: il genoma che fa vivere la società [Familie: das Genom,
das der Gesellschaft das Leben ermöglicht], Rubbettino, Soveria Marinelli 2013,
Kap. VI). Um diese Gefahr abzuwenden, bemüht sich die Kirche, zu lehren und
Studienzentren einzurichten. Doch enttäuschte Beobachter sind der Meinung, dass
„wir nun schon seit Jahrzehnten von der
,neuen Evangelisierung‘ reden; die Ergebnisse sind allerdings eher armselig.
(…) Die dringende Frage, die wir uns stellen müssen ist: Was fehlt in unseren
Bemühungen, wenn wir versuchen, zu evangelisieren und Jesus Christus zu
verkünden? Welchen Weg sollen wir einschlagen?“ (Kardinal Velasio De
Paolis, Die wiederverheirateten
Geschiedenen und die Sakramente der Eucharistie und der Buße, ebda., S. 5
und 29).
„Das Wohl der Person
sowie der menschlichen und christlichen Gesellschaft ist zuinnerst mit einem
Wohlergehen der Ehe- und Familiengemeinschaft verbunden“(Gaudium et Spes, Nr. 47). „Die Evangelisierung wird in Zukunft zu einem großen Teil von der
„Hauskirche“ abhängen. (…) Dort, wo eine antireligiöse Gesetzgebung jede andere
Form der Glaubenserziehung zu verhindern sucht oder wo verbreiteter Unglaube
oder eine uferlose Verweltlichung ein wirksames Wachstum im Glauben praktisch
unmöglich machen, bleibt die sogenannte Hauskirche der einzige Ort, an dem
Kinder und Jugendliche eine echte Glaubensunterweisung erhalten können“ (hl. Johannes Paul II., Familiaris Consortio, Nr. 52).
16.
FRAGE: Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Krise der Familie und den
Gesetzen, die heute auf der ganzen Welt in Kraft sind?
ANTWORT: Wie ein bekanntes juristisches
Sprichwort sagt, „das Gesetz von heute ist der Brauch von morgen“, das heißt,
was der Staat heute als legitim festlegt, wird die öffentliche Meinung mit der
Zeit als zulässig ansehen. Zum Beispiel schaffen die Gesetze, die die Ehescheidung
erlauben, unter den Gläubigen eine Tendenz, die Beständigkeit und
Unauflösbarkeit der Ehe zu relativieren. Um ein Verschwinden der natürlichen
und sakramentalen Eheschließung zu verhindern, ist es daher notwendig, dass die
Katholiken sich der Scheidungsmentalität widersetzen, die durch die bürgerliche
Gesetzgebung geschaffen und aufrechterhalten wird.
Prophetisch
sind die Worte Papst Leos XIII. anlässlich der gesetzlichen Einführung der
Ehescheidung in Frankreich: „Wie viele Übel sich aus den
Ehescheidungen ergeben, braucht man kaum zu erwähnen. Durch sie werden die
Ehebündnisse wandelbar; die gegenseitige Liebe wird abgeschwächt; der
verderblichen Verlockung werden die Schleusen geöffnet; Erziehung und
Unterricht der Kinder erleiden Schaden; die häusliche Gemeinschaft beginnt sich
zu lockern; in den Familien wird Zwietracht gesät; die Würde der Frau wird
geschmälert und erniedrigt, da ihr die Gefahr droht, verlassen zu werden,
nachdem sie der Lust des Mannes gedient hat. (…)
Die Zukunft wird es bestätigen, dass dieses Übel zunehmen wird, denn kein
Zügel ist stark genug, die einmal gewährte Freiheit der Ehescheidung in
bestimmten oder im Voraus festgesetzten Schranken zu halten. Die Macht des
schlechten Beispiels ist wahrhaftig groß genug, aber noch größer ist die Macht
der Begierden; unter ihrem Einfluss dringt das Verlangen nach Ehescheidungen
unbemerkt mit jedem Tage in weitere Kreise und ergreift die große Menge wie
eine ansteckende Krankheit oder wie ein seine Dämme durchbrechender Strom“ (Leo
XIII., Arcanum divinae Sapientiae,
vom 10.2.1880, Nr. 29, 30)
Tatsächlich konnte 135 Jahre
später Prof. Dr. Stephan Kampowski, Dozent am Päpstlichen Johannes Paul II.
Institut für Studien über Ehe und Familie in Rom, nur bestätigen: „Die bloße Existenz des Rechtsinstituts
Scheidung hat viel zur Förderung dieser Haltung beigetragen. Recht hat
erzieherische Wirkung. Die einfache Tatsache, dass es das Scheidungsrecht in
einer säkularen Gesellschaft gibt, ist ein Zeugnis dafür, dass die staatliche
Autorität (…) nicht annimmt, dass die Ehe andauern soll, ,bis dass der Tod uns
scheidet‘, sondern dass es sich um eine zeitlich begrenzte Übereinkunft
handelt“ (vgl. J.J. Pérez-Soba und S. Kampowski, Das wahre Evangelium der Familie, Media Maria, Illertissen 2014, S.
108).
„Eine zerstörte Familie kann ihrerseits eine spezifische Form von
,Anti-Zivilisation‘ stärken, indem sie die Liebe in den verschiedenen
Ausdrucksformen zerstört, mit unvermeidlichen Auswirkungen auf das gesamte
soziale Leben.“ (hl. Johannes Paul II.; Gratissimam sane, Brief an die Familien, 2. Februar 1994, Nr. 13).
17. FRAGE: Gibt es außer der
Gesetzgebung noch weitere Ursachen für die Krise der Familie?
ANTWORT: Die Krise der Familie ist die Folge eines kulturellen und
moralischen Zersetzungsprozesses, der nicht selten dadurch verstärkt wird, dass
es in den Familien kein Gebetsleben mehr gibt. Egoismus, Zügellosigkeit,
Ehebruch, Scheidung, Abtreibung, Verhütung, künstliche Befruchtung,
Sexualerziehung, elterliche Autoritätskrise, Verzicht auf Erziehung, ganz zu
schweigen von Pornographie und Drogen – alle diese Faktoren tragen zu einer
zunehmenden Zersetzung der Familie bei. Diese Situation ist aber nicht die
Folge einer unvermeidlichen und unaufhaltsamen historischen Evolution, sondern
das Ergebnis einer tiefgehenden und gezielten moralischen und kulturellen
Unterwanderung, verstärkt und gestützt durch die so genannte sexuelle Revolution im Mai 1968, die die
Einstellung „ich mache, was ich will“
und „verbieten ist verboten“ propagierte, also eine „Freiheit“ ohne Regeln und
Grenzen.
18. FRAGE: Wirken diese
Zersetzungsfaktoren unabhängig voneinander, jeder aus einer eigenen Ursache?
Oder sind sie Teil eines Prozesses von Ursache und Wirkung?
ANTWORT: Die neuere Geschichte zeigt, dass die
weniger schwerwiegenden Faktoren den gefährlicheren den Weg bereiten. Sie
können also nicht getrennt voneinander gesehen werden, sondern sind Phasen
eines einzigen Prozesses der Zersetzung, wie die Stufen einer hinabführenden
Leiter, die letztendlich zur Zerstörung der Familie führt. Daher stellt jedes
Nachgeben gegenüber einem Zersetzungselement nicht eine Barriere, durch die
etwas Schlimmeres verhindert werden kann, sondern eine Brücke dar, über die man
noch tiefer hineinrutscht. Zum Beispiel hat das Akzeptieren der Ehescheidung
die Akzeptanz der zivilen Eheschließungen nicht verhindert, sondern ihnen eher
noch den Weg bereitet.
„Zwar lassen sich nicht alle Vertreter der neuen Lehren zu den letzten
Folgerungen einer ungezügelten Leidenschaft fortreißen. Einige suchen gleichsam
auf halbem Weg stehen zu bleiben und meinen, nur in gewissen Punkten des
Gesetzes Gottes und der Natur müsse man der heutigen Zeit einige Zugeständnisse
machen. Aber auch sie sind, mehr oder weniger bewusst, Sendlinge jenes
unerbittlichen Feindes, der Unkraut unter den Weizen zu säen sucht“ (Papst Pius XI., Enzyklika Casti
Connubii, vom 31.12.1930).
19.
FRAGE: Wäre es dann nicht angebracht, wie in der Synode erwähnt, „die Notwendigkeit einer Evangelisierung hervorzuheben,
die offen die kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen
Abhängigkeiten anprangert“, die die Familie zerstören (Relatio post disceptationem, Nr. 38)?
ANTWORT: Ohne die Bedeutung der
wirtschaftlichen und sozialen Probleme unterschätzen zu wollen, ist es wichtig,
sich darüber klarzuwerden, dass die Wurzeln der Krise der Familie hauptsächlich
im religiösen und moralischen Bereich liegen.
Sowohl
bei der Analyse der Situation als auch bei der Wahl von Lösungen ist vor allem
darauf zu achten, dass die Kriterien der Lehre und Moral nicht durch empirische
Kriterien – zum Beispiel soziologische – ersetzt werden. Dadurch könnte nämlich
das pastorale Programm verfälscht werden und der falsche Eindruck entstehen,
dass man die Krise der Familie durch eine sozialökonomische Reform lösen kann.
20. FRAGE: In der Relatio post
disceptationem der Synode kann man lesen: „Schließlich sind die Lebensgemeinschaften ohne Trauschein sehr zahlreich,
nicht wegen einer Ablehnung der Werte der Familie und Ehe, sondern vor allem,
weil die Eheschließung einen Luxus darstellt, so dass die materielle Not die
Menschen zu solchen Lebensgemeinschaften drängt“ (Nr. 42). Bestätigt das nicht die Verantwortung der wirtschaftlichen
Verhältnisse für die heutige Krise der Familie?
ANTWORT: In Wirklichkeit hatte
das Phänomen des unverheirateten Zusammenlebens seinen Anfang in den
wohlhabenden und gebildeten Schichten, die ideologisch eher fortschrittlich
eingestellt waren und daher die Eheschließung als einen „kleinbürgerlichen
Brauch“ ablehnten. Das Aufkommen der „Lebenspartnerschaften“ war daher nicht
von wirtschaftlichen Faktoren bestimmt, sondern eher von einer Ideologie, die
es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Familie als Sinnbild der Tradition zu
bekämpfen. Diese von den Massenmedien propagierte Ablehnung hat mit der Zeit
einen Prozess ausgelöst, der alle Bereiche der Gesellschaft durchdrungen hat.
„Die Zeit, in der wir leben, macht die Tendenz zu einer
Beschränkung des Familienkerns auf den Umfang von zwei Generationen
offenkundig. Dies hat seinen Grund oft in dem nur beschränkt vorhandenen
Wohnraum, insbesondere in den großen Städten. Nicht selten liegt es aber auch
in der Überzeugung begründet, mehrere Generationen zusammen störten die
Vertraulichkeit und erschwerten zu sehr das Leben“ (hl. Johannes Paul II., Gratissimam
sane, Brief an die Familien, vom 2. Februar 1994, Nr. 10).
21. FRAGE: Heißt das, dass die Krise der Familie weniger durch soziologische als
durch psychologische Faktoren verursacht wurde, also durch „ein narzisstisches, instabiles
und veränderliches Gefühlsleben, das dem Einzelnen nicht immer hilft, zu
reifen“ (Relatio
Synodi, Nr. 10)?
ANTWORT: Diese abnormen
psychologischen Faktoren sind weniger der Ursprung der Familienkrise als deren
Symptome. Ihre Heilung verlangt eine korrekte Sicht des Menschen, seines geistlichen
Lebens, seiner übernatürlichen Bestimmung. Ohne auf die Anwendung natürlicher
Hilfsmittel zu verzichten, muss die pastorale Lösung der gegenwärtigen Krise
sich zuallererst auf die Glaubenswahrheiten und auf die Übung der übernatürlichen
Tugenden begründen. Wir werden noch auf diesen Punkt zurückkommen.
Fortsetzung: Vorrangige Option für die Familie IV
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