Mittwoch, 26. Juni 2024

Was genau ist ein Traditionalist?

Traditionalistische Katholiken bei einer
traditionellen lateinischen Messe
während des Zweiten Weltkriegs?

Nein, bloß Katholiken bei einer Messe

während des Zweiten Weltkriegs.

Dass es heute Katholiken gibt, die als „Traditionalisten“ bezeichnet werden, ist eine beispiellose Entwicklung in der gesamten bisherigen Geschichte der katholischen Kirche. Selbst auf dem Höhepunkt der arianischen Krise – die angemessenste Analogie zu unserer Situation – war die Kirche nicht aufgeteilt zwischen Traditionalisten und Nicht-Traditionalisten, sondern vielmehr zwischen jenen, welche die Häresie des Arius nicht angenommen hatten, und jenen, welche sie angenommen hatten.

Doch was genau ist ein Traditionalist? Ein Blick zurück darauf, wie die Dinge einst waren, könnte die Bedeutung des Begriffs wirkungsvoller vermitteln als die üblichen Versuche einer formalen Definition:

·   Einst gab es keinen in die gewöhnlichen Sprachen der Welt (= Landes-sprachen) übersetzten Ritus der Messe. Es gab nur die universale liturgische Sprache einer zeitlosen Kirche, wie man es sieht im uralten römischen Ritus, dessen organische Entwicklung beinahe unmerklich seit dem fünften Jahrhundert fortschritt, oder in den ehrwürdigen östlichen Riten, fast ebenso alt, die überwiegend dem rasenden liturgischen Vandalismus entgehen konnten, der die wichtigste Liturgie der Kirche verwüstet hat.

·   Einst gab es keine Altartische nach lutherischem Stil in unseren Kirchen, sondern ausschließlich auf Gott orientierte Hochaltäre, deren Aussehen allein den Sinn für Ehrfurcht und Andacht weckte.

·   Einst gab es keine Laien als Lektoren, Laien als „Kommunionhelfer“ oder Mädchen im Altarraum, sondern nur Priester, Diakone auf dem Weg zum Priestertum und männliche Altardiener, welche die hauptsächliche Ursache für eine Generation nach der anderen mit priesterlicher Berufung waren und die Seminarien füllten.

·   Einst gab es keine profane Musik während der Messe, sondern nur gregorianischen Choral oder Polyphonie, die Seele zur Kontemplation des Göttlichen bewegend – und eben nicht Klopfen mit den Füßen, Klatschen mit den Händen oder bloße Langeweile.

·   Einst gab es keine weitverbreiteten liturgischen Missbräuche. Im schlimmsten Fall gab es Priester, welche die traditionelle Messe verhuscht zelebrierten, aber innerhalb eines rubrizistischen, textlichen und musikalischen Rahmens, der trotz allem das zentrale Mysterium vor jeder Möglichkeit der Profanierung schützte und die höchste Würde des Gottesdienstes vor menschlicher Schwäche bewahrte.

·   gab es keine „Homo-Mafia“ in den Seminarien, den Kanzleien und im Vatikan selbst, oder klerikale „Raubtiere“, die Jungen auf der ganzen Welt sexuell missbrauchen, weil die Autoritäten der Kirche die Norm anwandten, wonach „Ordensgelübde und Weihen jenen verweigert sein sollen, die geplagt sind durch schlechte Neigungen zu Homosexualität oder Päderastie …“

·   gab es keine leerstehenden Seminarien, leerstehenden Klöster, aufgegebenen Pfarreien und verlassenen katholischen Schulen. Es gab nur Seminarien, Klöster, Pfarreien und Schulen, gefüllt mit Gläubigen aus großen Familien.

·   gab es keinen „Ökumenismus“. Es gab nur die Überzeugung, daß die katholische Kirche die einzig wahre Kirche ist, außerhalb derer niemand erlöst ist. Katholiken folgten der Lehre der Kirche, wonach „es den Gläubigen nicht erlaubt ist, auf irgendwelche Weise aktiv zu helfen bei oder teilzunehmen an dem Kult von Nicht-Katholiken“, und sie verstanden, wenn auch nur implizit, worauf Papst Pius XI. bestand: „Ihr seht, ehrwürdige Brüder, wie sehr diese Frage Uns am Herzen liegt, und auch alle Unsere Kinder sollen das erfahren, so ist es Unser Wunsch, nicht nur jene, die schon zur katholischen Kirche gehören, sondern auch alle, die von Uns getrennt sind. Wenn diese in demütigem Gebet das Licht vom Himmel erflehen, dann werden sie ohne Zweifel die eine wahre Kirche Jesu Christi erkennen und werden dann in sie eintreten und mit Uns in vollkommener Liebe verbunden sein.“

·   gab es keinen „Dialog“. Es gab nur Evangelisierung durch Klerus und Laienapologeten, mit dem Ziel, andere zur wahren Religion zu bekehren. Und es gab in der Tat Konvertiten. Sie traten zur Kirche über in so großer Zahl, dass es den Anschein hatte, als werden die Vereinigten Staaten eine katholische Nation – schauten doch 30 Millionen Amerikaner jeden Sonntag Bischof Fulton Sheen.

·   gab es keinen Massenabfall von Priestern, Ordensleuten und Laien, was zu einer „schweigenden Apostasie“ in Europa und im ganzen Westen führte. Es gab vielmehr das, was ein Konzilsvater des Zweiten Vatikanums zu Beginn des Konzils beschrieb: „Die Kirche, ungeachtet der Verhängnisse, welche die Welt plagen, durchlebt ein herrliches Zeitalter, wenn man das christliche Leben des Klerus und der Gläubigen betrachtet, die Verbreitung des Glaubens, und den heilsamen allgemeinen Einfluss der Kirche in der Welt heute.“

·   gab es keine „katholischen Charismatiker“, „Neokatechumenalen“ oder andere „neue geistliche Gemeinschaften“, die merkwürdige neue Arten des Kultes, erfunden von ihren Gründern, vorantreiben. Es gab nur Katholiken, die auf die gleiche Weise wie ihre Vorfahren beteten, mit ungebrochener Kontinuität durch die Jahrhunderte.

·   Einst gab es keine Traditionalisten, denn es bestand keine Notwendigkeit, einen Katholiken mit diesem Begriff zu beschreiben. Alle Katholiken akzeptierten instinktiv, was eine Reihe von Päpsten als Teil unseres Glaubensbekenntnisses vorschrieb: „Die apostolischen und kirchlichen Überlieferungen und die übrigen Gewohnheiten und Verordnungen dieser Kirche nehme ich fest und freudig an.“

Das sind die Dinge, wie sie einst waren. Und wann war dieses vergangene Zeitalter, von dem ich schreibe? Nicht vor Jahrhunderten, nicht einmal vor einem Jahrhundert oder einem einzigen Lebensalter, sondern vor gerade 50 Jahren, im lebendigen Gedächtnis von Millionen Katholiken heute.

Was ist also ein Traditionalist? Er ist nicht mehr oder weniger als ein Katholik, der dabei geblieben ist, den Glauben genau so zu praktizieren, wie er ihn in seiner Kindheit gelernt hat, oder der denselben unveränderten Glauben von seinen Eltern empfangen hat und ihn seinerseits seinen eigenen Kindern weitergibt. Ein Traditionalist, mit anderen Worten, ist ein Katholik, der den Glauben lebt, als hätten die kirchlichen Verhängnisse der postkonziliaren Epoche nie stattgefunden – wahrhaftig so, als hätte das Zweite Vatikanum nie stattgefunden. Und die erstaunliche Wahrheit über den Traditionalisten ist, daß nicht eine Lehre oder disziplinäre Norm der Kirche ihm verbietet, so zu glauben und Gott auf genau diese Weise zu verehren, auch wenn das große Übermacht der Katholiken dies nicht länger tut.

Die Katholiken, die schlicht weiter geglaubt und gebetet haben, wie Katholiken vor dem Konzil es immer getan haben, sind dazu gekommen, Traditionalisten genannt zu werden – historisch betrachtet vollkommen unvermittelt. Dass das Wort „Tradition“ jetzt diese verhältnismäßig wenigen Katholiken von der gewaltigen Mehrheit der Kirchenmitglieder unterscheidet, ist das unbestreitbare Zeichen einer Krise, die ungleich jeder anderen ist, welche die Kirche je erlebte. Jene, die dies verneinen, müssten erklären, warum der Glaube nur innerhalb dieser transformierten gewaltigen Mehrheit, korrekt als „neo-katholisch“ beschrieben, kontinuierlich die Leute aus der Hand gibt, wobei viele in die „stille Apostasie“ abfallen, die Johannes Paul II. zuletzt beklagte, nachdem er für so viele Jahre der „konziliaren Erneuerung“ zujubelte, die in Wirklichkeit ein massiver Zusammenbruch des Glaubens und der Disziplin war.

Speziell müssten sie erklären, warum wir nur innerhalb der gewaltigen Mehrheit von „Konzilskatholiken“ die Beobachtung machen, dass

·   als ein Viertel aller Ehen in Scheidung enden, mit Millionen von geschiedenen und „wiederverheirateten“ Katholiken weltweit, deren andauerndem Ehebruch Kardinal Kasper entgegenkommen will, mit der scheinbaren Unterstützung des derzeit herrschenden Papstes;

·   Taufen, sakramentale Ehen, Bekehrungen und die Teilnahme bei der Messe seit dem Konzil unerbittlich abnehmen;

·   eine weitverbreitete Ablehnung der unfehlbaren Lehre der Kirche zu fundamentalen Angelegenheiten des Glaubens und der Moral gibt;

·   es zu einem plötzlichen und dramatischen Verlust priesterlicher Berufungen, der das katholische Priestertum etwas weniger umfangreich hinterlässt als es 1970 der Fall war, sowie seither zu einer drastischen Abnahme der Zahl von Ordensleuten kam – trotz einer Verdoppelung der Weltbevölkerung.

Sie müssten auch erklären, warum nur innerhalb der winzigen Minderheit der Katholiken, die jetzt als Traditionalisten bezeichnet werden, keines dieser Anzeichen kirchlichen Verfalls offenbar wird.

In den vergangenen Tagen scheint die kirchliche Krise, mit der wir nun seit mehr als einem halben Jahrhundert zusammenleben, einen Tiefpunkt erreicht zu haben, von dem es ohne wundersame göttliche Intervention keine Rettung gibt. Die Welt singt dem neuen Papst „Hosanna“, während sie ihn drängt zur endgültigen Vollendung – per impossibile – des Prozesses der kirchlichen Selbstzerstörung, den Paul VI. in seinen letzten Jahren beklagte, obwohl er ihn selbst in Gang gesetzt hatte. Und doch setzt das neo-katholische Establishment seinen zuversichtlich Marsch jenseits des Punktes, von dem an es kein Zurück mehr gibt, fort, indem es die Anzeichen des Desasters weginterpretiert, während es Traditionalisten von oben herab als hartnäckige Liebhaber der Sehnsucht nach der Vergangenheit behandelt, deren Empfindungen man eine Heimat geben kann, auch wenn sie für die Zukunft der Kirche nicht länger von Bedeutung sind. Aber in Wahrheit sind die Traditionalisten die Zukunft der Kirche, wie die Geschichte über unsere Zeit vermerken wird, wenn sie geschrieben wurde.

Was genau ist ein Traditionalist? Er ist, was jeder Katholik einst war – und wieder sein wird, wenn die Krise vorüber ist.

 

 

Quelle: The Remnant 6. Mai 2014

Bild: The Remnant

Text: Christopher A. Ferrara

Übersetzung: M. Benedikt Buerger

 


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