Samstag, 14. Mai 2022

Notwendige Erinnerung

von Heimo Schwilk

Dass heute die Linke und Teile der AfD, besonders in den neuen Bundesländern, Putins Machtpolitik gutheißen, hat viel mit der DDR-Sozialisation zu tun. Die SED verteufelte den Klassenfeind, besonders die USA, und rühmte sich der „brüderlichen Freundschaft“ mit der Sowjetunion. KGB-Offiziere wie Wladimir Putin waren in der DDR jedoch nicht als Freunde und Aufbauhelfer, sondern als Unterdrückungsagenten eingesetzt, um den Satellitenstaat den Moskauer Direktiven gefügig zu machen. Nun das „geopolitische“ Recht Russlands zu beschwören, sich seine Beute, die durch den Zusammenbruch des Sowjetimperiums verloren ging, mit Gewalt zurückzuholen, stellt eine unbegreifliche Verharmlosung der DDR-Vergangenheit dar.

Überhaupt ist ... das Putin-Narrativ in sich unstimmig, Wer sich mit seinem „Brudervolk“ vereinigen will, zerbombt nicht dessen Infrastruktur und tötet massenhaft Menschen. Putin befreit die Ukrainer nicht vom „Nazismus“, sondern von ihrem Leben. Und wer unablässig von „Umzingelung“ schwadroniert, von der Gewalt, die angeblich von der Nato ausgehe, sollte nicht andauernd mit Atomschlägen drohen und Energie als Waffe einsetzen. Die osteuropäischen Staaten haben sich nach 1990 unter das Dach der Nato geflüchtet, um vor dem übermächtigen Nachbarn Russland künftig sicher zu sein. Nicht die Nato, sondern alle diese ehemaligen Zwangsverbündete der Sowjetunion haben die Mitgliedschaft im westlichen Verteidigungsbündnis gefordert! Wer das Gegenteil behauptet, kennt die historischen Tatsachen nicht.

Wladimir Putin hatte 22 Jahre Zeit, aus einem der an Ressourcen reichsten Länder der Welt eine industrielle Macht zu machen. Aber um des persönlichen Machterhalts willen hat er sein Land in einen großen Gulag verwandelt, die politischen Gegner inhaftieren, töten oder vergiften lassen, sämtliche Medien gleichgeschaltet. Echte Marktwirtschaft hatte keine Chance, die oligarchischen Kleptokraten teilten das Volksvermögen unter sich auf. Putin bestimmt, wer an seinem Tisch der Macht sitzt - und in seine Kassen zahlt. Russland ist heute eine lupenreine Diktatur, in der die Geheimdienste und das Militär das Sagen haben - allerdings mit Putins Pistole am Kopf, der seine Generäle nach Bedarf zusammenfaltet wie Schulkinder. Der russische Augenminister Sergej Lawrow ist mit seinen Lügen und Drohungen längst ein Wiedergänger von Saddam Husseins Sprachrohr Tariq Aziz.

Was bei Putins Anhängern - hierzulande und in Russland, wo angeblich 80 Prozent der Bevölkerung den Krieg unterstützen – entsetzt, ist das Fehlen jedweden Mitgefühls für die Opfer der russischen Gewaltpolitik, ob in Tschetschenien, Georgien, Syrien oder nun in der Ukraine. Das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche, Patriarch Kyrill, der Putin die religiösen Stichworte für sein zutiefst unchristliches Handeln liefert, ist ein besonders abschreckendes Beispiel für diese Art von Bigotterie.

Es ist gut, dass die Grünen, vor allem Robert Habeck sich heute massiv für die Unterstützung der Ukraine, auch durch Waffenhilfe zur Selbstverteidigung, einsetzen. Es sei allerdings, um Stefan Meetschens Lob für den grünen Wirtschaftsminister und die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann etwas zu relativieren, daran erinnert, dass es gerade die Grünen waren, die den Deutschen jahrzehntelang einredeten, man könne Frieden am besten ohne Waffen schaffen. Und Frau Strack-Zimmermann sagte noch kurz vor Beginn des Krieges, sie lehne Waffenlieferungen an die Ukraine ab. Schließlich: Die schwarz-gelbe Koalition unter der Kanzlerin Angela Merkel schaffte die Wehrpflicht ab! Die FDP hat hier eine zumindest ambivalente Vergangenheit. Zu einem recht verstandenen Selbstbewusstsein gehört aber auch, dass man sich an seine Fehler und Unterlassungen erinnert, bevor man mit viel Empathie einen neuen Kurs wagt, der mit (fast) allem bricht, was in Erz gegossen schien.

 

Dieser Text ist der letzte Teil der Replik des Autors auf eine Kritik von Stefan Metschen zu seinem Werk „Die selbstbewusste Nation“ (Ullstein 1994), veröffentlicht in „Die Tagespost“ vom 5. Mai 2022, S. 17.

 

 

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