Körperliches und geistiges Erbe
Die wahre Natur dieser großen und geheimnisvollen Sache,
die das Vererben ist, — das heißt das von Geschlecht zu Geschlecht
ununterbrochene Weiterreichen eines reichen Schatzes materieller und geistiger
Güter innerhalb einer Sippe, die gleichbleibende Wiederkehr desselben
körperlichen und sittlichen Typus des Vaters im Sohn, die Tradition, die durch
Jahrhunderte hindurch die Glieder derselben Familie zur Einheit verbindet —,
die wahre Natur des Vererbens kann man, möchten Wir sagen, ohne Zweifel mit
materialistischen Theorien entstellen. Aber man kann und muß eine derartige
Wirklichkeit von so großer Bedeutung auch in ihrem vollen natürlichen und
übernatürlichen Wahrheitsgehalt betrachten.
Man wird gewiß die Tatsache eines materiellen
Bestandteils bei der Weitergabe der erblichen Eigenschaften nicht leugnen.
Wollte man sich darüber wundern, so müßte man die innige Verbindung unserer
Seele mit unserem Körper vergessen, und in welch großem Ausmaß selbst unsere
geistigsten Tätigkeiten von unserer körperlichen Veranlagung abhängig sind.
Darum unterläßt es die christliche Sittenlehre nicht, die Eltern an die schwere
Verantwortung zu erinnern, die ihnen in dieser Hinsicht obliegt.
Von größerer Bedeutung ist jedoch das geistige Erbe, das
nicht so sehr durch jene geheimnisvollen Bande der materiellen Zeugung
weitergegeben wird, als vielmehr durch die beständige Wirksamkeit jenes
bevorzugten Milieus, welches die Familie darstellt, mit der langsamen und
tiefgehenden Bildung der Herzen in der Atmosphäre einer Häuslichkeit, die reich
ist an hohen geistigen und sittlichen und vor allem christlichen Traditionen,
zusammen mit der gegenseitigen Beeinflussung zwischen denen, die im selben
Hause wohnen, einer Beeinflussung, deren wohltuende Wirkungen weit über die
Jahre der Kindheit und Jugend bis ans Ende eines langen Lebens in jenen
auserlesenen Seelen hinausreichen, die es verstehen, in sich selbst die Schätze
eines kostbaren Erbes mit dem Beitrag ihrer persönlichen Qualität und Erfahrung
zu verschmelzen.
Solcher Art ist das Erbe, kostbarer als jedes andere,
das, von einem starken Glauben erleuchtet und von einer tatkräftigen und treuen
Praxis des christlichen Lebens in allen seinen Erfordernissen belebt, die
Seelen Eurer Kinder emporhebt verfeinert und reich macht.
Ansprache an das Patriziat und den Adel von Rom: 5. Januar 1941. Original: italienisch.
Quelle:„Ansprachen Pius' XII. an den römischen Adel“. Herausgegeben
vom Rhein.-Westf. Verein Kathol. Edelleute.
Sonderdruck aus „Aufbau und Entfaltung des gesellschaftlichen
Lebens / Soziale Summe Pius' XII.“ Herausgegeben von Arthur-Fridolin Utz O.P.,
Professor der Ethik und Sozialphilosophie an der Universität Freiburg/Schweiz,
und Joseph-Fulko Groner O.P., Professor der Moraltheologie an der Universität
Freiburg/Schweiz, Paulus Verlag, Freiburg/Schweiz.
Druck Bonifatius-Druckerei Paderborn 1957.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen