von Selma Lagerlöf
Es
war an einem Weihnachtstag, alle waren zur Kirche gefahren, außer Großmutter
und mir. Ich glaube, wir beide waren im ganzen Hause allein. Wir hatten nicht mitfahren
können, weil die eine zu jung und die andere zu alt war. Und alle beide waren
wir betrübt, dass wir nicht zum Mettegesang fahren und die Weihnachtslichter
sehen konnten.
Aber
wie wir so in unserer Einsamkeit saßen, fing Großmutter zu erzählen an.
„Es
war einmal ein Mann“, sagte sie, „der in die dunkle Nacht hinausging, um sich
Feuer zu leihen. Er ging von Haus zu Haus und klopfte an. ,Ihr lieben Leute,
helft mir!‘, sagte er. ,Mein Weib hat eben ein Kindlein geboren, und ich muss
Feuer anzünden, um sie und den Kleinen zu erwärmen.‘
Aber
es war tiefe Nacht, sodass alle Menschen schliefen, und niemand antwortete ihm.
Der
Mann ging und ging. Endlich erblickte er in weiter Ferne einen Feuerschein. Da
wanderte er dieser Richtung zu und sah, dass das Feuer im Freien brannte. Eine
Menge weiße Schafe lagen rings um das Feuer und schliefen, und ein alter Hirt
wachte über die Herde.
Als
der Mann, der Feuer leihen wollte, zu den Schafen kam, sah er, dass drei große
Hunde zu Füßen des Hirten ruhten und schliefen. Sie erwachten alle drei bei
seinem Kommen und sperrten ihre weiten Rachen auf, als ob sie bellen wollten, aber
man vernahm keinen Laut. Der Mann sah, dass sich die Haare auf ihren Rücken
sträubten, er sah, wie ihre scharfen Zähne funkelnd weiß im Feuerschein
leuchteten und wie sie auf ihn losstürzten. Er fühlte, dass einer von ihnen nach
seinen Beinen schnappte und einer nach seiner Hand und dass einer sich an seine
Kehle hängte. Aber die Kinnlade und die Zähne, mit denen die Hunde heißen
wollten, gehorchten ihnen nicht, und der Mann litt nicht den kleinsten Schaden.
Nun
wollte der Mann weitergehen, um das zu finden, was er brauchte. Aber die Schafe
lagen so dicht nebeneinander, Rücken an Rücken, dass er nicht vorwärts kommen konnte.
Da stieg der Mann auf die Rücken der Tiere und wanderte über sie hin dem Feuer
zu. Und keins von den Tieren wachte auf oder regte sich.“
„Als
der Mann fast bei dem Feuer angelangt war, sah der Hirt auf. Es war alter
mürrischer Mann, der unwirsch und hart gegen alle Menschen war. Und als er
einen Fremden kommen sah, griff er nach einem langen, spitzigen Stabe, den er in
der Hand zu halten pflegte, wenn er seine Herde hütete und warf ihn nach ihm. Und
der Stab fuhr zischend gerade auf den Mann los, aber ehe er ihn traf, wich er
zur Seite und sauste, an ihm vorbei, weit über das Feld.“
„Nun
kam der Mann zu dem Hirten und sagte zu ihm: ,Guter Freund, hilf mir und leih mir
ein wenig Feuer. Mein Weib hat eben ein Kindlein geboren, und ich muss Feuer
machen, um sie und den Kleinen zu erwärmen.‘
Der
Hirt hätte am liebsten nein gesagt, aber als er daran dachte, dass die Hunde
dem Mann nicht hatten schaden können, dass die Schafe nicht vor ihm
davongelaufen waren und dass sein Stab ihn nicht fällen wollte, da wurde ihm
ein wenig bange, und er wagte es nicht, dem Fremden das abzuschlagen, was er
begehrte.
,Nimm,
so viel du brauchst‘, sagte er zu dem Manne.
Aber
das Feuer war beinahe ausgebrannt. Es waren keine Scheite und Zweige mehr
übrig, sondern nur ein großer Gluthaufen, und der Fremde hatte weder Schaufel
noch Eimer, worin er die roten Kohlen hätte tragen können.
Als
der Hirt dies sah, sagte er abermals: ,Nimm, so viel du brauchst!‘ Und er
freute sich, dass der Mann kein Feuer wegtragen konnte. Aber der Mann beugte
sich hinunter, holte die Kohlen mit bloßen Händen aus der Asche und legte sie
in seinen Mantel. Und weder versengten die Kohlen seine Hände, als er sie
berührte, noch versengten sie seinen Mantel, sondern der Mann trug sie fort,
als wenn es Nüsse oder Äpfel gewesen wären.“
„Als
dieser Hirt, der ein so böser, mürrischer Mann war, dies alles sah, begann er
sich bei sich selbst zu wundern: ,Was kann dies für eine Nacht sein, wo die
Hunde die Menschen nicht beißen, die Schafe nicht erschrecken, die Lanze nicht
tötet und das Feuer nicht brennt?‘ Er rief den Fremden zurück und sagte zu ihm:
,Was ist dies für eine Nacht? Und woher kommt es, dass alle Dinge dir
Barmherzigkeit erzeigen?‘
Da
sagte der Mann: ,Ich kann es dir nicht sagen, wenn du selber es nicht siehst.‘
Und er wollte seiner Wege gehen, um bald ein Feuer anzuzünden und Weib und Kind
wärmen zu können.
Aber
da dachte der Hirt, er wolle den Mann nicht ganz aus dem Gesicht verlieren,
bevor er erfahren hätte, was dies alles bedeute. Er stand auf und ging ihm
nach, bis er dorthin kam, wo der Fremde daheim war.
Da
sah der Hirt, dass der Mann nicht einmal eine Hütte hatte, um darin zu wohnen sondern
er hatte sein Weib und sein Kind in einer Berggrotte liegen, wo es nichts gab
als nackte kalte Steinwände.
Aber
der Hirt dachte, dass das arme unschuldige Kindlein vielleicht dort in der
Grotte erfrieren würde, und obgleich er ein harter Mann war, wurde er davon doch
ergriffen und beschloss, dem Kinde zu helfen. Und er löste sein Ränzel von der
Schulter und nahm daraus ein weiches, weißes Schafsfell hervor. Das gab er dem
fremden Manne und sagte, er möge das Kind darauf betten.
Aber
in demselben Augenblick, in dem er zeigte, dass auch er barmherzig sein konnte,
wurden ihm die Augen geöffnet, und er sah, was er vorher nicht hatte sehen, und
hörte, was er vorher nicht hatte hören können.
Er
sah, dass rund um ihn ein dichter Kreis von kleinen, silberbeflügelte Englein
stand. Und jedes von ihnen hielt ein Saitenspiel in der Hand, und alle sangen
sie mit lauter Stimme, dass in dieser Nacht der Heiland geboren sei, der die Welt
von ihren Sünden erlösen solle.
Da
begriff er, warum in dieser Nacht alle Dinge so froh waren, dass sie niemand
etwas zu Leide tun wollten.
Und
nicht nur rings um den Hirten waren Engel, sondern er sah sie überall. Sie
saßen in der Grotte und sie saßen auf dem Berge und sie flogen unter dem
Himmel. Sie kamen in großen Scharen über den Weg gegangen, und wie sie
vorbeikamen, blieben sie stehen und warfen einen Blick auf das Kind.
Es
herrschte eitel Jubel und Freude und Singen und Spiel, und das alles sah er in
der dunklen Nacht in der er früher nichts zu gewahren vermocht hatte. Und er
wurde so froh, dass seine Augen geöffnet waren, dass er auf die Knie fiel und
Gott dankte.“
Aber
als Großmutter so weit gekommen war, seufzte sie und sagte: „Aber was der Hirte
sah, das könnten wir auch sehen, denn die Engel fliegen in jeder
Weihnachtsnacht unter dem Himmel, wenn wir sie nur zu gewahren vermögen.“
Und
dann legte Großmutter ihre Hand auf meinen Kopf und sagte: „Dies sollst du dir
merken, denn es ist so wahr, wie dass ich dich sehe und du mich siehst. Nicht
auf Lichter und Lampen kommt es an, und es liegt nicht an Mond und Sonne, sondern
was Not tut, ist, dass wir Augen haben die Gottes Herrlichkeit sehen können.“
Selma
Lagerlöf, „Christus Lgenden“. Aus dem schwedischen überstzt von Marie Franzos. Lizenzausgabe
für KOMET MA-Service und Verlaggesellschaft mbH Köln.
©
by nymphenburger in der F.A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen