Mathias von Gersdorff
Die Passion Jesu Christi ist ein Ereignis, welches es
nicht nur schafft, die Religiosität und die Frömmigkeit der Menschen zu
bewegen, sondern auch das Interesse für die psychologischen und
gesellschaftlichen Umstände, die zu diesem politischen Verbrechen geführt
haben, zu wecken. Das liegt daran, daß das gesamte Leidensgeschehen nicht nur
ziemlich detailliert in den Evangelien beschrieben ist, sondern auch in einer
Art und Weise, in der jeder Mensch sich in irgendeiner Form mit dem Geschehen
identifizieren kann und sich selbst wiederfindet. Die vier Berichte der Passion
Christi im Neuen Testament besitzen somit eine Universalität, die man wohl
nirgends sonst findet. Diese Universalität inspiriert seit Jahrhunderten
Künstler und Literaten in allen Winkeln der Welt.
Meine Aufmerksamkeit weckte in dieser Fastenzeit
insbesondere die Figur des Pontius Pilatus, die wichtigste politische
Persönlichkeit im Passionsbericht. Die Umstände, die zur Anklage gegen Jesus
führten, sind rasch geschildert: Aus verschiedenen religiösen und politischen
Gründen bildete sich eine Verschwörung gegen Jesus Christus. Für ein
Todesurteil bedurfte es aber einer richterlichen Entscheidung des römischen
Statthalters, also Pilatus. Auf diese Weise bekommt eine Figur, die bis zu diesem
Zeitpunkt in den Evangelien gar nicht vorgekommen war, eine Schlüsselrolle in
diesem zentralen Ereignis des Neuen Testaments und im Glauben aller
christlichen Konfessionen. Analysieren wir deshalb etwas genauer das Verhalten
des Römers und versuchen wir zu verstehen, wie es zu seinem verbrecherischen
Richterspruch kam.
Günstiger Gesprächsbeginn, aber die Wahrheit stört
Das erste Verhör Jesu durch Pilatus ist gut im
Johannes-Evangelium Kapitel 18, Verse 28 bis 38 beschrieben. Pilatus merkte
schnell, daß Jesus lediglich Opfer einer Verschwörung und daher unschuldig war.
Während der Unterhaltung zeigt Pilatus Interesse für Jesus und beginnt, sein
Herz zu öffnen. Jesus deutet ihm seine Mission an und sagt ihm, er sei ein
König, aber nicht von dieser Welt. Doch das Gespräch endet ungünstig, denn
Widerstand bäumt sich im Herzen Pilatus’ auf, als Jesus ihm sagt, er sei
gekommen, Zeugnis von der Wahrheit abzulegen. Pilatus’ berühmte und
folgenschwere Antwort darauf: „Was ist Wahrheit?“
Diese Infragestellung ist der entscheidende Wendepunkt im
Prozeß gegen Jesus. Ab diesem Zeitpunkt ist Pilatus von Angst erfüllt und nicht
mehr primär interessiert, die Wahrheit herauszufinden und ein gerechtes Urteil
zu fällen. Sein Hauptanliegen ist, seinen Posten und seine recht bescheidene
Macht zu verteidigen. Durch diese innere Haltung wird er zunehmend zum
Spielball derjenigen, die gegen Jesus intrigieren.
Aus purer Feigheit übergibt er Jesus der Folter
Nach dem ersten Verhör geht Pilatus zu den Klägern und
stellt fest: „Ich finde keinen Grund, ihn zu verurteilen.“ Pilatus hätte Jesus
freilassen müssen, doch er fürchtete sich. So bot er an, den Verbrecher
Barrabas anstatt Jesus hinrichten zu lassen. Das Angebot wurde abgelehnt. Immer
noch wollte Pilatus Jesus freilassen, doch damit die Gegner Christi auf ihre
Kosten kommen, ordnete er eine Geißelung an. Die Geißelung nach Art der
römischen Strafordnung war eine äußerst grausame Strafe, die nicht selten zum
Tod des Verurteilten führte. Der römische Flagello hatte an den Enden der
einzelnen Riemen Bleikugeln mit Hacken, die sich in das Fleisch des
Verurteilten einbohren konnten und ihm ganze Fleischstücke herausrissen.
Halten wir fest: Pilatus’ Schwäche war kein Hindernis,
eine solche Tortur anzuordnen. Ganz im Gegenteil: Weil er nicht Manns genug
war, den Gegnern Jesu die Stirn zu zeigen, ordnete er ungerechterweise – aus
purer Feigheit – eine Folter an.
Der Wendehals wird ängstlich
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