Mathias von Gersdorff
Seit Ende 2013 haben linkskatholische Theologen und
Organisationen mit neuer Kraft und Entschlossenheit ihre alten Positionen in
der Öffentlichkeit vorgebracht: Schleifung der Sexualmoral, Neubewertung der
Homosexualität, moralische Unbedenklichkeit der Verwendung von künstlichen
Verhütungsmitteln, Akzeptanz außerehelichen Geschlechtsverkehrs, positive
Einstellung zu nichtehelichen Partnerschaften usw.
Diese Theologen und diese Organisationen à la „Wir sind
Kirche“ oder „Zentralkomitee der deutschen Katholiken“ führen im Grunde eine
Protest-Kampagne gegen das katholische Lehramt. Sie wünschen sich ein
nicht verbindliches Lehramt und eine Entwertung des Priesterstandes, um so die
Kirche zu demokratisieren.
"wir sind kirche" |
Dass sich diese Forderungen gegen den verbindlichen
Glaubensschatz der Kirche richten, ist ihnen egal. Sie wollen im Grunde
eine neue Kirche gründen. Normalerweise müsste die kirchliche Autorität
öffentlich erklären, dass diese Art von Forderungen nicht katholisch sind.
Im Vorfeld der Familiensynode ist deutlich geworden, dass
auch einige Bischöfe öffentlich Forderungen stellen, die nicht im Einklang mit
der Lehre der Kirche stehen. Das betrifft vor allen die Zulassung von
wiederverheirateten Geschiedenen zur Kommunion sowie eine gewisse Akzeptanz
von homosexuellen Lebensweisen und Partnerschaften.
Dieser Kampf gegen das katholische Lehramt ist nur eine
von zwei Strategien, die der deutsche Linkskatholizismus verwendet, um seine
Vision einer neuartigen Kirche zu erreichen.
Diese „kämpferische“ Strategie hat zwei wichtige
Nachteile: Gegen sie bildet sich schnell eine Gegenreaktion und sie hat stets
das Image eines deutschen „Sonderweges“, der im Konflikt mit der Weltkirche
steht.
Das ist auch, was man in den letzten Monaten beobachten
konnte: Stets bildete sich Protest gegen die arroganten Forderungen aus
Deutschland, die Lehre der Kirche über Ehe, Familie und Sexualmoral zu
schleifen. Die afrikanischen Bischöfe haben sogar schon Widerstand bei der
Familiensynode im Herbst 2015 angekündigt, sollte die deutsche Delegation
versuchen, ihre abstrusen Vorstellungen durchzusetzen.
Der Linkskatholizismus besitzt eine zweite
Strategie: Man müsse die tatsächlichen Lebensverhältnisse zur Kenntnis
nehmen. Die „gesellschaftlichen Realitäten“ hätten sich eben verändert.
So argumentierte jüngst der neue Erzbischof von Hamburg,
Stefan Heße. Laut katholisch.de sagte er: „Wir müssen auf die Vielfalt der
Lebensformen schauen, die nun einmal da sind“. Zum neuen kirchlichen
Arbeitsrecht, das nicht mehr die automatische Kündigung in Fällen von
Wiederheirat nach Scheidung, nach Abschließen einer
gleichgeschlechtlichen Partnerschaft oder nach dem Austritt aus der Kirche
vorsieht, sagte Erzbischof Heße: „Anders könnten wir gar nicht weitermachen,
weil wir sonst zu wenig qualifizierte Mitarbeiter bekämen, um unsere
Einrichtungen zu betreiben.“
Ähnlich äußerte sich der Direktor des Münchner
Diözesan-Caritasverbands, Hans Lindenberger, nachdem eine lesbische Leiterin
eines Caritas-Schülerhorts im oberbayerischen Holzkirchen ihren Arbeitsplatz
behalten darf. Sie ging eine eingetragene Lebenspartnerschaft mit einer
Frau ein.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb dazu: „Prälat
Lindenberger zeigte sich erleichtert über die Fortsetzung des
Beschäftigungsverhältnisses. Die Hortleiterin sei ihrem Arbeitgeber gegenüber
stets loyal gewesen und habe keinen Anlass für ein Ärgernis gegeben.“
Offensichtlich besitzt der Prälat kein Gespür für die Ernsthaftigkeit des
Vorfalls: Nach außen wird vermittelt, dass die (deutsche) katholische Kirche
ihre Haltung zu praktizierter Homosexualität verändert hat.
Im Kielwasser dieser Entwicklung rudern auch die
katholischen Schützenverbände mit ihren ca. 300.000 Mitgliedern: „Der Verband
orientiere sich am neuen kirchlichen Arbeitsrecht, wonach Wiederheirat oder
eine eingetragene Lebenspartnerschaft nur noch in schwerwiegenden Fällen
Konsequenzen hätten“, so die „Katholische Nachrichtenagentur KNA“.
Offensichtlich wird schrittweise die Auflösung der
katholischen Kirche in etlichen Bistümern Deutschlands vorangetrieben. Man muss
kein Experte in Infinitesimalrechnung sein, um zu begreifen, dass der Limes
dieser Strategie das Ende des katholischen Lebens anstrebt.
Das neue kirchliche Arbeitsrecht ist das ideale
Instrument, um langsam die katholische Kirche in Deutschland von ihrer
Vergangenheit zu entkernen. Das neue Arbeitsrecht sieht keinen
Automatismus vor. Es soll „von Fall zu Fall“ entschieden werden, ob ein
Angestellter in irregulärer Situation noch haltbar ist.
In „konservativen“ Bistümern, wird man noch mehr oder
weniger nach den alten Richtlinien vorgehen, während „liberale“ Bistümer
Homosexuelle und Wiederverheiratete sogar noch fördern werden, um sich ein
modernes Image zu verschaffen. Drei Bistümer, Passau, Regensburg und Eichstätt,
wollen das neue kirchliche Arbeitsrecht gar nicht einführen.
Der Linkskatholizismus hat stets vermieden, dass sich
diese beiden Strategien vermischen.
Eine Verbindung der beiden Strategien würde sich explosiv
auswirken: Würde eines Tages eine (falsche) theologische Begründung nötig
sein, um eine unorthodoxe Praxis aufrecht erhalten zu können, würde es zu einer
Häresie und damit zu einer Kirchenspaltung kommen. In einer solchen
Situation könnten Protagonisten und Antreiber schnell zu Getriebene werden:
Auch Heinrich VIII. und Martin Luther wollten anfangs keine Kirchenspaltung,
doch eines Tages waren sie nicht mehr die Herren der Lage...
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