Aus dem hervorragenden Text der Homilie des heiligen Karl
Borromäus (1538-1584), Erzbischof von Mailand, zum Fest der Geburt Unserer
Lieben Frau, am 8. September 1584:
„Der Anfang des Evangeliums des Matthäus, das euch vor
kurzem, von hier aus, durch die Heilige Mutter Kirche verkündet wurde, regt uns
vor allem dazu an, aufmerksam den Adel, die hervorragende Abstammung und die
Erhabenheit der Allerheiligsten Jungfrau zu untersuchen. Wenn man als Adeligen
denjenigen anzusehen hat, der diese Ehre von verdienstvollen Ahnen übertrugen
erhalten hat, wie überragend ist dann erst der Adel Mariens, der sich von
Königen, Patriarchen, Propheten und Priestern aus dem Stamme Juda, der Geschlecht Abrahams und dem königlichen Geschlecht Davids ableitet?
Auch wenn wir es nicht übersehen, dass wir selbst vom
wirklichen Adel — dem christlichen — sind, den uns allen der Erstgeborene des
Vaters verliehen hat, als Er ,allen, die Ihn aufnahmen, die Macht gegeben hat,
Kinder Gottes zu werden‘ (Joh 1,12) und dass allen gläubigen Christen diese
Würde und dieser Adel zu eigen ist, glauben wir doch, dass der Blutsadel
keineswegs zu verachten oder gar abzulehnen ist. Im Gegenteil, wer diesen
Blutsadel nicht als Gabe und einmalige Gunstbezeugung Gottes anerkennen und
Gott, dem Spender aller guten Gaben, ganz besonders dafür danken würde, wäre
absolut unwürdig, ein Adeliger genannt zu werden. Dies schon deshalb, weil die
Verrohung eines undankbaren Charakters, wie sie schändlicher nicht zu denken
ist, den Ruhm der Vorfahren verdunkeln könnte. Denn der Blutsadel trägt auch
viel zur wirklichen Schönheit der Seele bei und ist von nicht geringem Nutzen
für sie.
Vor allem bereiten der Ruhm seines edlen Blutes, die
Tugenden der Vorfahren und deren berühmte Taten, den Edelmann in wunderbarer
Weise darauf vor, in die Fußstapfen seiner Ahnen zu treten. Und es kann nicht
bezweifelt werden, dass auch seine eigene Eigenart mehr der Tugend zugeneigt
ist: entweder, weil sein Stamm eben von diesen Ahnen herkommt und dadurch ihr
Geist in ihm weiterwirkt, oder durch die dauernde Erinnerung (in ihre Tugenden,
die ihm besonders teuer sind — was er zu schätzen weiß — weil sie der Ruhm seiner
Blutsverwandten gewesen sind. Oder, schließlich, auf Grund der guten Erziehung,
die er durch hervorragende Männer erhalten hat. Allgemein ist die Wahrheit
bekannt, dass Edelmut, Großzügigkeit, hervorragende Tugenden und die
Autorität der Eltern, die Kinder dazu anregen, dieselben Tugenden mit großem
Eifer zu üben. Daraus ist abzuleiten, dass die Adeligen, quasi einem
Naturinstinkt folgend, nach Ehre streben, den Großmut pflegen, billige Vorteile
ablehnen und, mit einem Wort, all das zurückweisen, was sie als unvereinbar mit
ihrer Vornehmheit ansehen.
Zum anderen regt der Adel dazu an, an den Tugenden
festzuhalten. Das ist verschieden von dem erstgenannten Vorzug, der darin
besteht, dass der Adelige dazu angeregt wird, eher das Gute zu tun. Jetzt aber
wird weiter darauf hingewiesen, dass das Bedürfnis an den Tugenden
festzuhalten, leicht Erreichbarem und heftigen Reizen gegenüber wie eine Bremse
funktioniert und Lastern und allem, was des Adels unwürdig ist, entgegenwirkt.
Und auch dazu führt, dass der Adelige, sollte er einmal etwas Falsches getan
haben, sich sosehr dessen schämt, dass er mit allen seinen Kräften bemüht ist,
sich von diesem Makel zu reinigen.
Schließlich ist auch das ein Vorteil des Adels, dass — ebenso, wie ein Edelstein mehr leuchtet, wenn er in Gold statt in Eisen gefasst
ist — die gleichen Tugenden bei ihm mehr hervortreten als bei einem gemeinen
Mann und dass sich die Tugend mit dem Adel als schönster Schmuck desselben
verbindet.
Nicht nur ist es wahr, dass man den Adel und das Ansehen
der Vorfahren als wertvoll anzusehen hat, wir betonen auch die absolute
Richtigkeit der folgenden zwei Feststellungen: erstens, dass — so wie die
Tugenden des Adels besonders hervortreten, ebenso — seine Laster besonders
schändlich sind. Das ist leicht zu verstehen, denn, so wie Schmutz leichter an
einem hellen, sonnenbeschienenen Platz, als in einer dunklen Ecke zu sehen ist,
oder Flecken auf einem goldbestickten Gewand eher, als auf einem gewöhnlichen,
schäbigem Kleid oder schließlich auch, Wunden und Narben im Gesicht leichter
bemerkt werden als an einer verdeckten Stelle des Körpers, so sind auch Laster
auffallender und entstellen schändlicher den Geist des Schuldigen bei einem
Adeligen als bei gewöhnlichen Menschen. Denn es gibt wirklich nichts
unwürdigeres, als einen jungen Mann, der von angesehenen Eltern und gut
erzogen, den man herabgekommen, in Kneipen, beim Spiel und ausschweifenden
Gelagen sehen muss.
Als zweites stellen wir fest, dass — selbst wenn jemand
zum ältesten Adel gehört — dieser verblasst, wenn den Verdiensten der Vorfahren
nicht die eigenen Tugenden rund Verdienste hinzugefügt werden. Denn, sollte die
Reihe verdienstvollen Handelns unterbrochen werden, verliert der Betreffende
seine Würde, weil, selbst wenn ein Rest des Glanzes der Vorfahren noch
erkennbar wäre, dieser sicherlich zwecklos sein wird. Zwecklos, weil sein Ziel
nicht mehr erreichbar ist, das darin besteht, den Träger einstigen, durch
unwürdiges Handeln verlorenen Adels, für edles Handeln geneigt zu machen, das
tugendhaft ist und ihn von der Sünde abhalten könnte. Und der Adel verwandelt
sich für ihn zur Schande und trägt nicht das Mindeste zu seiner Ehre bei. Das
ist es auch, was Unser Herr Jesus Christus den Pharisäern vorgeworfen hat, die
sich dessen rühmten, Kinder Abrahams zu sein, als Er zu ihnen sagte: ,Wenn ihr
Abrahams Kinder wäret, so tätet ihr Abrahams Werke‘ (Joh 8,39). Denn nur der
kann sich dessen rühmen, Sohn oder Enkel und damit Teilhaber des Adels
derjenigen zu sein, deren Leben und Tugenden er selbst nachzuahmen sucht. Und
deshalb auch sprach der Herr zu jenen: „Ihr habt den Teufel zum Vater“ (Joh
8,44) und der allerheiligste Vorläufer Christi nannte sie ,Natternbrut‘ (Lk
3,7).
Wer kann eigentlich noch so unwissend und achtlos sein,
dass er noch Gründe findet, am höchsten Adel der Allerheiligsten Jungfrau Maria zu
zweifeln? Wer weiß denn nicht, dass Sie nicht nur die gleichen Tugenden
wie Ihre Vorfahren besaß, sondern Sie noch bei weitem übertraf, so dass man mit
allem Recht Sie die Alleredelste nennen muss, denn in Ihr hat der Glanz so
berühmter Patriarchen, Könige, Propheten und Priester, deren Reihe das heutige
Evangelium beschreibt, die höchste Vollendung gefunden?
Sicherlich wird jemand fragen, wieso man aus alledem, was
bisher dargelegt wurde, den Adel der Vorfahren Mariens ableiten kann, wenn doch
die Abstammung Josefs, des Gatten der Maria beschrieben wird. Wer aber die
Heiligen Schriften genau studiert hat, wird diesen Zweifel leicht beseitigen
können. Denn in den Göttlichen Gesetzen ist festgelegt, dass die Jungfrau
keinen Mann, außer aus dem eigenen Stamme nehmen sollte, aus Rücksicht auf die
Reihe der Erbfolge (vgl: 4. Num 36,6 ff) und deshalb ist es vollkommen klar,
dass Josef und Maria aus dem gleichen Stamm und der gleichen Familie stammen.
Aus dieser Beschreibung der menschlichen Abstammung des Sohnes Gottes ist es
offensichtlich, dass der Adel des einen und der anderen gleich ist.“
Der Heilige beginnt dann einen anderen Aspekt des großen
Themas zu behandeln, über das er spricht. Er sagt:
„Schließlich, zum dritten, geliebte Töchter — denn das
geht Euch an — ist die Abstammung Josefs und nicht die der Maria beschrieben,
damit Ihr lernt, Euch nicht zu überheben oder in beleidigender Form Euren
Gatten zu sagen: ,Ich habe den Adel in dein Haus, den Glanz der Ehren zu dir
gebracht; mir musst du, mein Mann, zuschreiben, was du (in Würde bekommen
hast‘. Wisset, dass in Wahrheit — und das prägt euch fest ein — Würde und Adel
der Familie der Gattin, keiner anderen Familie zu danken ist, außer der des
Ehemannes und abscheulich sind jene Gattinnen, die es wagen, sich in
irgendeiner Weise über ihre Gatten erheben zu wollen, oder — was das
schlechteste ist — sich der Familie ihres Gatten schämen; sie verschweigen
ihren bürgerlichen Namen und benützen nur den ihrer eigenen Sippe. Das ist
wirklich ein teuflischer Ausdruck der Überheblichkeit. Welche ist also die Familie
der Maria? Josefs Familie ist es! Welcher ist der Stamm, die Sippe und der Adel
Mariens? Jene, ihres angetrauten Mannes Josef! Das ist es, ihr christlichen
Ehefrauen, die ihr wirklich edelmütig und gottesfürchtig seid, was ihr am
meisten beachten müsst ".(1)
(1) Sancti Caroli Borromei Homiliae CXXII, Ignatii Adami
et Francisci Antonii Veith Bibliopolarum, Augustae Vindelicorum [Augsburg],
editio novissima, versio latina, s.d., Homilia CXXII, cols. 1211-1214. in
Plinio Corrêa de Oliveira, „Der Adel und vergleichbare traditionelle Eliten in
den Ansprachen Pius´ XII. an das Patriziat und den Adel von Rom“. ÖJCGDR Wien,
2006, Documente IV, S. 296 f.
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