Samstag, 1. November 2014

Der Adel des Blutes ist ein starker Ansporn, tugendhaft zu leben


Aus dem hervorragenden Text der Homilie des heiligen Karl Borromäus (1538-1584), Erzbischof von Mailand, zum Fest der Geburt Unserer Lieben Frau, am 8. September 1584:

„Der Anfang des Evangeliums des Matthäus, das euch vor kurzem, von hier aus, durch die Heilige Mutter Kirche verkündet wurde, regt uns vor allem dazu an, aufmerksam den Adel, die hervorragende Abstammung und die Erhabenheit der Allerheiligsten Jungfrau zu untersuchen. Wenn man als Adeligen denjenigen anzusehen hat, der diese Ehre von verdienstvollen Ahnen übertrugen erhalten hat, wie überragend ist dann erst der Adel Mariens, der sich von Königen, Patriarchen, Propheten und Priestern aus dem Stamme Juda, der Geschlecht Abrahams und dem königlichen Geschlecht Davids ableitet?

Auch wenn wir es nicht übersehen, dass wir selbst vom wirklichen Adel — dem christlichen — sind, den uns allen der Erstgeborene des Vaters verliehen hat, als Er ,allen, die Ihn aufnahmen, die Macht gegeben hat, Kinder Gottes zu werden‘ (Joh 1,12) und dass allen gläubigen Christen diese Würde und dieser Adel zu eigen ist, glauben wir doch, dass der Blutsadel keineswegs zu verachten oder gar abzulehnen ist. Im Gegenteil, wer diesen Blutsadel nicht als Gabe und einmalige Gunstbezeugung Gottes anerkennen und Gott, dem Spender aller guten Gaben, ganz besonders dafür danken würde, wäre absolut unwürdig, ein Adeliger genannt zu werden. Dies schon deshalb, weil die Verrohung eines undankbaren Charakters, wie sie schändlicher nicht zu denken ist, den Ruhm der Vorfahren verdunkeln könnte. Denn der Blutsadel trägt auch viel zur wirklichen Schönheit der Seele bei und ist von nicht geringem Nutzen für sie.
Vor allem bereiten der Ruhm seines edlen Blutes, die Tugenden der Vorfahren und deren berühmte Taten, den Edelmann in wunderbarer Weise darauf vor, in die Fußstapfen seiner Ahnen zu treten. Und es kann nicht bezweifelt werden, dass auch seine eigene Eigenart mehr der Tugend zugeneigt ist: entweder, weil sein Stamm eben von diesen Ahnen herkommt und dadurch ihr Geist in ihm weiterwirkt, oder durch die dauernde Erinnerung (in ihre Tugenden, die ihm besonders teuer sind — was er zu schätzen weiß — weil sie der Ruhm seiner Blutsverwandten gewesen sind. Oder, schließlich, auf Grund der guten Erziehung, die er durch hervorragende Männer erhalten hat. Allgemein ist die Wahrheit bekannt, dass Edelmut, Großzügigkeit, hervorragende Tugenden und die Autorität der Eltern, die Kinder dazu anregen, dieselben Tugenden mit großem Eifer zu üben. Daraus ist abzuleiten, dass die Adeligen, quasi einem Naturinstinkt folgend, nach Ehre streben, den Großmut pflegen, billige Vorteile ablehnen und, mit einem Wort, all das zurückweisen, was sie als unvereinbar mit ihrer Vornehmheit ansehen.
Zum anderen regt der Adel dazu an, an den Tugenden festzuhalten. Das ist verschieden von dem erstgenannten Vorzug, der darin besteht, dass der Adelige dazu angeregt wird, eher das Gute zu tun. Jetzt aber wird weiter darauf hingewiesen, dass das Bedürfnis an den Tugenden festzuhalten, leicht Erreichbarem und heftigen Reizen gegenüber wie eine Bremse funktioniert und Lastern und allem, was des Adels unwürdig ist, entgegenwirkt. Und auch dazu führt, dass der Adelige, sollte er einmal etwas Falsches getan haben, sich sosehr dessen schämt, dass er mit allen seinen Kräften bemüht ist, sich von diesem Makel zu reinigen.

Schließlich ist auch das ein Vorteil des Adels, dass — ebenso, wie ein Edelstein mehr leuchtet, wenn er in Gold statt in Eisen gefasst ist — die gleichen Tugenden bei ihm mehr hervortreten als bei einem gemeinen Mann und dass sich die Tugend mit dem Adel als schönster Schmuck desselben verbindet.

Nicht nur ist es wahr, dass man den Adel und das Ansehen der Vorfahren als wertvoll anzusehen hat, wir betonen auch die absolute Richtigkeit der folgenden zwei Feststellungen: erstens, dass — so wie die Tugenden des Adels besonders hervortreten, ebenso — seine Laster besonders schändlich sind. Das ist leicht zu verstehen, denn, so wie Schmutz leichter an einem hellen, sonnenbeschienenen Platz, als in einer dunklen Ecke zu sehen ist, oder Flecken auf einem goldbestickten Gewand eher, als auf einem gewöhnlichen, schäbigem Kleid oder schließlich auch, Wunden und Narben im Gesicht leichter bemerkt werden als an einer verdeckten Stelle des Körpers, so sind auch Laster auffallender und entstellen schändlicher den Geist des Schuldigen bei einem Adeligen als bei gewöhnlichen Menschen. Denn es gibt wirklich nichts unwürdigeres, als einen jungen Mann, der von angesehenen Eltern und gut erzogen, den man herabgekommen, in Kneipen, beim Spiel und ausschweifenden Gelagen sehen muss.

Als zweites stellen wir fest, dass — selbst wenn jemand zum ältesten Adel gehört — dieser verblasst, wenn den Verdiensten der Vorfahren nicht die eigenen Tugenden rund Verdienste hinzugefügt werden. Denn, sollte die Reihe verdienstvollen Handelns unterbrochen werden, verliert der Betreffende seine Würde, weil, selbst wenn ein Rest des Glanzes der Vorfahren noch erkennbar wäre, dieser sicherlich zwecklos sein wird. Zwecklos, weil sein Ziel nicht mehr erreichbar ist, das darin besteht, den Träger einstigen, durch unwürdiges Handeln verlorenen Adels, für edles Handeln geneigt zu machen, das tugendhaft ist und ihn von der Sünde abhalten könnte. Und der Adel verwandelt sich für ihn zur Schande und trägt nicht das Mindeste zu seiner Ehre bei. Das ist es auch, was Unser Herr Jesus Christus den Pharisäern vorgeworfen hat, die sich dessen rühmten, Kinder Abrahams zu sein, als Er zu ihnen sagte: ,Wenn ihr Abrahams Kinder wäret, so tätet ihr Abrahams Werke‘ (Joh 8,39). Denn nur der kann sich dessen rühmen, Sohn oder Enkel und damit Teilhaber des Adels derjenigen zu sein, deren Leben und Tugenden er selbst nachzuahmen sucht. Und deshalb auch sprach der Herr zu jenen: „Ihr habt den Teufel zum Vater“ (Joh 8,44) und der allerheiligste Vorläufer Christi nannte sie ,Natternbrut‘ (Lk 3,7).

Wer kann eigentlich noch so unwissend und achtlos sein, dass er noch Gründe findet, am höchsten Adel der Allerheiligsten Jungfrau Maria zu zweifeln? Wer weiß denn nicht, dass Sie nicht nur die gleichen Tugenden wie Ihre Vorfahren besaß, sondern Sie noch bei weitem übertraf, so dass man mit allem Recht Sie die Alleredelste nennen muss, denn in Ihr hat der Glanz so berühmter Patriarchen, Könige, Propheten und Priester, deren Reihe das heutige Evangelium beschreibt, die höchste Vollendung gefunden?

Sicherlich wird jemand fragen, wieso man aus alledem, was bisher dargelegt wurde, den Adel der Vorfahren Mariens ableiten kann, wenn doch die Abstammung Josefs, des Gatten der Maria beschrieben wird. Wer aber die Heiligen Schriften genau studiert hat, wird diesen Zweifel leicht beseitigen können. Denn in den Göttlichen Gesetzen ist festgelegt, dass die Jungfrau keinen Mann, außer aus dem eigenen Stamme nehmen sollte, aus Rücksicht auf die Reihe der Erbfolge (vgl: 4. Num 36,6 ff) und deshalb ist es vollkommen klar, dass Josef und Maria aus dem gleichen Stamm und der gleichen Familie stammen. Aus dieser Beschreibung der menschlichen Abstammung des Sohnes Gottes ist es offensichtlich, dass der Adel des einen und der anderen gleich ist.“

Der Heilige beginnt dann einen anderen Aspekt des großen Themas zu behandeln, über das er spricht. Er sagt:

„Schließlich, zum dritten, geliebte Töchter — denn das geht Euch an — ist die Abstammung Josefs und nicht die der Maria beschrieben, damit Ihr lernt, Euch nicht zu überheben oder in beleidigender Form Euren Gatten zu sagen: ,Ich habe den Adel in dein Haus, den Glanz der Ehren zu dir gebracht; mir musst du, mein Mann, zuschreiben, was du (in Würde bekommen hast‘. Wisset, dass in Wahrheit — und das prägt euch fest ein — Würde und Adel der Familie der Gattin, keiner anderen Familie zu danken ist, außer der des Ehemannes und abscheulich sind jene Gattinnen, die es wagen, sich in irgendeiner Weise über ihre Gatten erheben zu wollen, oder — was das schlechteste ist — sich der Familie ihres Gatten schämen; sie verschweigen ihren bürgerlichen Namen und benützen nur den ihrer eigenen Sippe. Das ist wirklich ein teuflischer Ausdruck der Überheblichkeit. Welche ist also die Familie der Maria? Josefs Familie ist es! Welcher ist der Stamm, die Sippe und der Adel Mariens? Jene, ihres angetrauten Mannes Josef! Das ist es, ihr christlichen Ehefrauen, die ihr wirklich edelmütig und gottesfürchtig seid, was ihr am meisten beachten müsst ".(1)

(1) Sancti Caroli Borromei Homiliae CXXII, Ignatii Adami et Francisci Antonii Veith Bibliopolarum, Augustae Vindelicorum [Augsburg], editio novissima, versio latina, s.d., Homilia CXXII, cols. 1211-1214. in Plinio Corrêa de Oliveira, „Der Adel und vergleichbare traditionelle Eliten in den Ansprachen Pius´ XII. an das Patriziat und den Adel von Rom“. ÖJCGDR Wien, 2006, Documente IV, S. 296 f.


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