Mittwoch, 20. Juli 2011

V. Die drei Tiefenschichten der Revolution: in den Tendenzen, in den Ideen, in den Fakten

1. Die Revolution in den Tendenzen

Wie wir bisher gesehen haben, ist diese Revolution ein Prozess, der in Etappen abläuft und ihren Ursprung in bestimmten ungeordneten Tendenzen hat, die ihr als Seele und innerste Triebkraft dienen. (Vgl. Teil I, Kap. III, 5)
So können wir auch in der Revolution drei Tiefenschichten unterscheiden, die sich chronologisch bis zu einem gewissen Punkt durchdringen.
Die erste und tiefste Schicht besteht in einer Krise der Tendenzen. Diese ungeordneten Tendenzen, die von ihrer eigenen Natur aus zur Verwirklichung drängen, da sie sich nicht mehr mit einer Ordnung der Dinge abfinden können, die ihnen zuwiderläuft, beginnen die Mentalitäten, die Seinsweisen, die künstlerische Ausdrucksweisen und die Sitten zu verändern, ohne jedoch in der Regel gleich die Ideen und das Gedankengut anzutasten.

2. Die Revolution in den Ideen

Von diesen tiefsten Schichten heraus greift die Krise auf das ideologische Gebiet über. In der Tat, wie mit Recht Paul Bourget in seinem bekannten Buch "Le démon du midi" schreibt: "Man muss leben, wie man denkt, um nicht früher oder später anfängt so zu denken, wie man gelebt hat" (a.a.O., Librairie Plon, Paris, 1914, Bd. II, S. 375). So sprießen nun, angeregt von der Unordnung der tiefliegenden Tendenzen, neue Ideen, neue Lehren hervor. Manchmal suchen sie anfangs einen modus vivendi mit den früheren Ideen und damit eine Harmonie vortäuschen, die aber gewöhnlich recht bald zum offenen Kampfe übergeht.

3. Die Revolution in den Fakten

Diese Revolution der Ideen greift sodann auf das Gebiet der Fakten über und bewirkt hier mit blutigen oder unblutigen Mitteln einen Wandel in Institutionen, Gesetzen und Sitten sowohl im religiösen Bereich als auch in der weltlichen Gesellschaft. Es ist eine dritte Krise, die sich im Bereich der Fakten abspielt.

4. Verschiedene Beobachtungen

A. Die drei Tiefenschichten der Revolution sind nicht mit Zeitabschnitten gleichzusetzen
Diese Tiefenschichten weisen eine gewisse Staffelung auf. Doch bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass das Wirken der Revolution in diesen Schichten derart zeitlich verflochten ist, dass sie nicht als zeitlich unterschiedliche Einheiten betrachtet werden können.

B. Erkennbarkeit der drei Tiefenschichten der Revolution
Die drei Tiefenschichten sind nicht immer deutlich voneinander zu unterscheiden. Der Grad ihrer Erkennbarkeit ist von Fall zu Fall verschieden.

C. Der revolutionäre Prozess ist nicht unumkehrbar
Der Weg eines Volkes durch diese Tiefenschichten ist nicht unumkehrbar, so dass er nach dem ersten Schritt zwangsläufig bis zum letzten kommen müsse und in die nächste Tiefenschicht hineingleite. Im Gegenteil, der freie Wille des Menschen ist in der Lage, mit Hilfe der Gnade Gottes, jede Krise zu überwinden und selbst die Revolution aufzuhalten und zu besiegen.
Wenn wir hier die verschiedenen Aspekte des revolutionären Prozesses beschreiben, so gehen wir dabei vor wie etwa ein Arzt, der die Entwicklung einer Krankheit bis zum Tode hin beschreibt, ohne damit jedoch behaupten zu wollen, dass die Krankheit unheilbar sei.

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