Nach der Messe |
Robert Spaemann
Reinhard Bingener hat in der FAZ
die Ergebnisse der „neuen Mitgliederuntersuchung der EKD“ dargestellt („Erosion
auf fast allen Ebenen“ 10.03.2014). Dabei handelt es sich um eine
repräsentative Umfrage, die sich auf Kirchenmitglieder, aber auch auf
Ausgetretene und Konfessionslose, die nie Kirchenmitglieder waren, erstreckt.
Das Ergebnis bezeichnet Bingener mit „Stabilität des Abbruchs“. Was ist das
Besondere und Neue das diese Untersuchung zu tage fördert, und warum ist das
Ergebnis auch für Katholiken von Bedeutung? Vielleicht, dass es im „eigene
Haus“ relativ günstiger aussieht, weil die Kirchenaustrittszahlen um 30% bis
40% niedriger liegen? Nein! Die festgestellten existenzgefährdenden
Entwicklungen gelten auch für die katholische Kirche in Deutschland.
Beginnen wir mit der Begründung
für die Kirchenaustritte. Die Kirchensteuer ist „in der Rangfolge ... deutlich
zurückgefallen hinter der Feststellung: „Ich brauche keine Religion fürs
Leben“. Die Aussage des Kirchenpräsidenten Peter Steinacker von 2006: „Der
Kirchenaustritt wird primär kirchen- und nicht religionskritisch begründet“,
ist überholt! „Konfessionslosigkeit“, ein „gefestigter Unglaube“ ist „zu
einer selbstverständlichen Option der
Lebensführung in Deutschland geworden“.
Die geringere Bildungskraft der
Kirchen hat nach dem Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD
Gerhard Wehner nicht dazu geführt, dass „nicht institutionalisierte Frömmigkeit
und Patchworkreligion“ zugenommen haben. Die Feststellung lautet: „Ohne
religiöse Praxis und kirchliche Bindung erodiert auf die Dauer die Christliche
Überzeugung . . . wer sich einmal von
der Kirche losgesagt hat, der entwickelt später nur selten spirituelle
Sehnsüchte“. Die niedrige Zahl der Wiedereintritte in die Kirche belegt diese
Aussage.
Da die religiöse Erziehung in
der Kindheit von größter Bedeutung auch für die spätere religiöse Bindung ist.
sind folgende Untersuchungsergebnisse für Westdeutschland nicht nur für die
Protestanten, besorgniserregend: So sagen die über 66 Jahre alten
Kirchenmitglieder zu 83%, sie seien religiös erzogen worden, bei den 30 bis 45
jährigen äußern das nur noch 67% und bei den 14 bis 21 jährigen nur mehr 49%.
„Für die Kirche“, so Bingener, „gewinnen die
Befunde an Dramatik, weil vieles für die Unumkehrbarkeit und Potenzierung
dieser Prozesse spricht . . . stoppen oder gar umkehren lassen wird sich die
Erosion der Mitgliedschaft, das ist in Anbetracht der Ergebnisse unabwendbar,
auch durch größtes Bemühen nicht . . . die bisherige Erfahrung lehrt
allerdings, dass es in Teilen der Führung der evangelischen Kirche keine Scheu
gibt, hartnäckig an den empirischen Kenntnissen vorbei zu arbeiten.“
Diese defaitistische
Schlussfolgerung von Bingener mag richtig sein, wenn sich die
Erstverantwortlichen für den Glauben – bei den Katholiken sind das die Bischöfe
– wie Konkursverwalter verhalten. Die Kirchengeschichte widerlegt jedoch diese
Behauptung von der „Unumkehrbarkeit“ der Entwicklung. Richtig ist: Glauben
kann man nicht machen, wohl aber kann man sich um gute Voraussetzungen für eine
Neuevangelisierung bemühen. Weil dafür
wenig geschieht, setzt sich der Abwärtstrend fort. So finden sich auch
für den katholischen Bereich ähnliche Feststellungen wie bei den Protestanten:
„Die christlichen Kirchen müssen nach Einschätzung von Wissenschaftlern selbst
bei intensiven Reformbemühungen weiter mit sinkenden Mitgliederzahlen rechnen.
,Der Mitgliederschwund ist nahezu unaufhaltsam' , erklärte der
Religionssoziologe Detlef Pollak“ (KathNet, 02.11.13) Der Leiter des Augsburger
Gebetszentrums, Dr. Johannes Hartl, stellte fest: „Die Krise der Kirche ist
eine gewaltige Chance der Bekehrung.“ Auch Hartl geht davon aus, dass die
Volkskirche stirbt. Er sieht dafür aber andere Gründe als Pollak: „Wenn die
Leiter der Kirche jetzt die Zeichen erkennen, werden sie nicht 90% ihrer Kraft
verwenden, um Strukturen zu stützen, die sich schon mittelfristig erübrigen
werden, sondern ihr Geld, ihre Kreativität und ihre immensen personellen Möglichkeiten nutzen, an etwas
Zukunftsfähigen zu bauen. Leider sehe ich die Bereitschaft zu solch innovativem
Denken noch nicht an vielen Stellen.“ (12.02.2014 KathNet)
Hinsichtlich der
Neuevangelisierung gewinnt man im katholischen Deutschland den Eindruck: Was an
Anregungen aus Rom kommt, wird weit hin negiert. Was man selber will, wir nicht
deutlich und ebenso wenig, ob man
überhaupt wollen will. Dabei liegen einige Voraussetzungen für die
Neuevangelisierung auf der Hand:
Wenn man nicht schätzen kann,
was man nicht kennt und seit Jahrzehnten bekannt ist, dass der
Religionsunterricht nach acht bis neun Jahren nicht einmal dazu führt, dass die
Schulabgänger die Grundelemente ihres Glaubens vermittelt bekommen, sind
Korrekturen überfällig.
Wenn ferner bekannt ist, dass
die Kinder von ihren Eltern immer weniger in den Glauben eingeführt werden,
dann muss auch die Ehevorbereitung neu konzipiert und geordnet werden.
Trotz der genannten Defizite und
Versäumnisse gibt es „missionarischen Funkenflug“ z.B. in der Nightfeverbewegung.
Sie nahm ihren Anfang auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln, als es erstmalig bei
einer Vigil eine Eucharistische Anbetung mit Beichte für die Jugend gab.
Inzwischen breitet sich Nightfever rasch aus. Vom 16. bis 18. März trafen sich
in Fulda 170 begeisterte Jugendliche aus dem gesamtdeutschen Sprachraum zu
einem Internationalen Nightfeverwochenende. Der Fuldaer Bischof Heinz Josef
Algermissen sieht in der Nightfeverbewegung ein neues Pfingsten. In seiner
Predigt sagte der Bischof: „Ich setze auf euch, dass ihr der neue Anfang seid.
Unsere Kirche braucht euch. Helft auch uns Bischöfen, Dinge zu sehen, die wir
sonst übersehen. Das ist eure Aufgabe. Nur so könnt ihr helfen, dass das
österliche Licht in unsere Kirche aufbricht“.
Quelle: Der Fels –
Katholisches Wort in die Zeit – 45. Jahr – Mai 2014
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