Jahrhundertelang war die Familie ein Bollwerk gegen die „feindliche“
Außenwelt, ein zuverlässiger Zufluchtsort, aber auch ein „Sprungbrett“ ins Leben.
Die Familie war eine festgefügte, solidarische Gemeinschaft, die allen, die ihr
zugehörten, Schutz und Sicherheit bot, Hilfe in kritischen Situationen,
Unterstützung in allen Lebenslagen, Trost und Rat, Aufmunterung und
Rückenstärkung.
Als kleinste Lebenszelle der Gesellschaft hatte sie auch
ihre eigenen Gesetze, gegen die man nicht ungestraft verstoßen durfte – wer
sich außerhalb der Familie stellte, wer aus der Gemeinschaft der Sippe
ausbrach, bekam dies meist sehr unangenehm zu spüren. Diese älteste und
solideste aller gesellschaftlichen Institutionen übte, unbeirrt vom Wandel der
Meinungen, in allen Gesellschaftsordnungen ihre wichtigsten Funktionen aus: Sie
allein konnte den Kindern innerhalb ihres Bereichs ein notwendiges festes Maß
an Fürsorge zuteil werden lassen, sie bestimmte, durch ihren sozialen Status
und durch ihren psychischen Einfluss, weitgehend den Platz, den ihre Mitglieder
im späteren Leben einnahmen. Sie vermittelte die erste Lebensorientierung und
die „emotionale Erhaltung“ durch die Fürsorge, die Liebe und die seelische
Nähe, die die Familienmitglieder einander angedeihen ließen. Die Familie war
auch in der wilhelminischen Gesellschaft Mittelpunkt und Richtschnur für alle
ihre Mitglieder. Sie bildete eine Gemeinschaft, in der die Generationen
einander zugehörig fühlten, die die Kraft hatte, die „Verwandtschaft“, auch die
angeheiratete, völlig zu integrieren — und das Leben dieser Gemeinschaft, ihr Schicksal, die „Familienmeinung“ — das ging alle an!
Zu jener Zeit war „die Großfamilie“ noch gang und gäbe.
Quelle: „Die gute alte Zeit im Bild“ – Alltag im
Kaiserreich 1871-1914 in Bildern und Zeugnissen präsentiert von Gert Richter. Bertelsmann
Lexikon-Verlag, 1974.
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