Mathias von Gersdorff
Möglicherweise aufgrund der Lautstärke der Proteste gegen
den „Bildungsplan 2015“ in Baden-Württemberg entging der breiten
Öffentlichkeit, dass in den Kindertagestätten (Kitas), also für drei- bis
sechsjährige Kinder, ein Umerziehungsprogramm eingeführt wurde, der
gewissermaßen noch radikaler ist, als das Projekt für die Schulen.
Maßgeblich in Baden-Württemberg ist die Schrift
„Gleichstellung beginnt im Kindergarten - Eine Arbeitshilfe zur Umsetzung von
Gender Mainstreaming in Kindertageseinrichtungen“, herausgegeben vom
„Ministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren
Baden-Württemberg“. Die 80-seitge Schrift kann von der Internetseite www.sozialministerium-bw.de
heruntergeladen werden.
Die Schrift wurde von Gunter Neubauer, Leiter des
Sozialwissenschaftlichen Instituts SOWIT, verfasst. Die Tendenz des Instituts
wird deutlich wenn man erfährt, was es unter dem Begriff „Geschlecht“ versteht:
„Geschlechter werden gemacht, können aber auch neu ausgebildet und verbessert
werden. Es gilt, Geschlechterpotenziale zu nutzen! Wir sehen Geschlechter
besonders in ihren gestaltbaren Seiten und nutzen dieses Potenzial bei der
Entwicklung von Organisationen und Unternehmen.“ Nach diesem Grundsatz ist die
Arbeitshilfe für das baden-württembergische Familienministerium geschrieben:
Wie „verbessert“ man die Geschlechter – aber noch viel mehr, wie wir noch sehen
werden – in und durch die Kitas.
Liest man diese ungeheuerliche Schrift, stellt man
schnell fest, dass der Autor und die gesamte Gender-Mainstreaming-Ideologie von
einem düsteren Bild des Menschen, der Gesellschaft, der Kultur und der Familie
beseelt sind. Diese negative, geradezu deprimierende Sichtweise, durchzieht den
gesamten Text und ist wohl der Antrieb der Leute, die meinen, man müsse die
menschliche Natur, die Familie und die Gesellschaft „korrigieren“. Diese Drei
sind in der Wahrnehmung der „Gender-Mainstreamer“ dermaßen korrumpiert, dass
man schon bei dreijährigen Kindern mit der Umerziehung beginnen muss, um
anständige – sprich gendergerechte - Menschen hinzukriegen.
Eine ernsthafte psychologische Studie über die Macher des
„Gender-Mainstreaming“ würde sicherlich Erstaunliches ans Licht bringen und
zeigen, in wessen Hände die Kinder hierzulande gegeben werden.
Die ersten Opfer der Gender-Maistreaming-Umerziehung in
den Kitas sind natürlich die Kinder. Ihre Mentalität, die sie im Elternhaus
erworben haben, muss dekonstruiert und nach der Gender-Ideologie neu
programmiert werden (Der Duktus des Textes entspricht eher einem Text über
Computer als über Menschen): „Bei der Auswahl und Zusammenstellung von
Spielmaterialien wird darauf geachtet, dass Geschlechtsrollenstereotypen aktiv
und bewusst entgegen gewirkt wird.“ Die gemeinten
„Geschlechtsrollenstereotypen“ können dreijährige Kinder nur im Elternhaus
bekommen haben. Allein an diesem Satz erkennt man, wie dezidiert der Autor
gegen das Elternrecht vorgeht und welche moralische Autorität er sich zumisst.
Das Papier gibt klare Anweisungen, wie die
Charakterwäsche vollzogen werden soll: „Geänderte Spiele unterstützen
Einverständnis abseits der traditionellen Rollen. Buben lernen zum Beispiel
wickeln und nicht nur Garagen bauen, Mädchen bauen Hochhäuser und nicht nur
Puppenbetten und sie lernen, ihre Interessen durchzusetzen.“
Das Papier des baden-württembergischen Ministeriums
verheimlicht gar nicht, dass dieser Erziehungsansatz im Feminismus der 1970er
und 1980er Jahre wurzelt, denn damals wurde „die Reproduktion von
Rollenstereotypen im Kindergartenalltag thematisiert und kritisiert. Aus dieser
Tradition speist sich ein Verständnis von Geschlechterpädagogik als Vermeidung
des geschlechtertypischen Rollenlernens.“ Wie allgemein bekannt, sah der
Feminismus dieser Jahrzehnte in der Familie und in der Frau als Mutter die
Haupthindernisse für die Emanzipation der Frau. Gunter Neubauer möchte also
seine Schrift ausdrücklich in der Tradition der emanzipatorischen Bewegung der
Zeit unmittelbar nach der 1968er-Revolution setzen.
Damit ein Erzieher seine Rolle effizient erfüllt, soll er
sein ganzes Handeln unter folgenden Postulat stellen: „Der
Reflexionshintergrund für Gender-Kompetenz ist das Wissen darum, dass
Geschlechterverhalten und Geschlechterverhältnisse „gemacht“ und nicht einfach
„natürlich“ sind“. Das ist der Grundgedanke de „Gender-Mainstreamings“.
Bemerkenswert ist allerdings, wie unkritisch man annimmt, das
Geschlechtsverhalten und die Geschlechtsverhältnisse seien mit drei Jahren
schon derart willkürlich „gemacht“, dass man die Kinder schon zu diesem
Zeitpunkt umprogrammieren muss. Dass das Geschlechtsverhalten bei einem
dreijährigen Kind möglicherweise von Natur aus gegeben ist, wird gar nicht in
Betracht gezogen.
Kindertagesstätten sind für die Genderisten nicht nur ein
Instrument der Umerziehung von Kindern, sondern auch der Familien bzw. der
Eltern der Kinder. Über die Kitas soll auch das Familienleben umgestaltet
werden und die traditionellen Rollenmuster in der Familie dekonstruiert werden:
„Im Alltag der meisten Kindertageseinrichtungen geht man stillschweigend davon
aus, dass vor allem die Mütter für Erziehungsfragen und den Kontakt zum Team
„zuständig“ sind auch wenn sich Väter immer öfter blicken lassen und eine zunehmend
aktive Erziehungsrolle übernehmen wollen.“ Den Erziehern in den Kitas sollte es
eigentlich egal sein, wie die Eltern die Erziehung ihrer Kinder organisieren.
Doch für die Genderisten ist die Kita ein Ort einer umfassenden
Gesellschaftsumgestaltung. Welches Recht sie dazu haben, wird gar nicht
hinterfragt. Für sie ist das eine Selbstverständlichkeit.
Spätestens an dieser Stelle wird einem klar, dass die
Gender-Ideologen sich wie die Verkünder einer neuen Religion gebaren: Sie sind
von ihrer Sache völlig überzeugt und fühlen sich im Besitz der absoluten
moralischen Autorität. In der gesamten Schrift des baden-württembergischen
Familienministeriums ist kein einziges Wort enthalten, das auf Selbstkritik
oder Selbstzweifel schließen ließe. Die Genderisten sind dermaßen davon
überzeugt, sie hätten die Wahrheit gepachtet, dass sie keinerlei Skrupel
spüren, wenn sie über die Mentalitäten der Kinder, über das Familienleben und
über die gesellschaftlichen Gewohnheiten urteilen. Alles muss von ihnen
„korrigiert“ und in die „richtige“ Bahn gelenkt werden.
Entsprechend der „Arbeitshilfe“ zur Umsetzung von Gender
Mainstreaming in Kindertageseinrichtungen sollen die Kitas auch an der
ideologischen Umpolung des Volkes mitwirken, indem sie einen neuen
Familienbegriff prägen: „Für Erzieherinnen und Erzieher gilt es aber auch,
einen professionellen Blick für die Vielfalt moderner Familienformen mit ihren
teils ganz unterschiedlichen Bedürfnissen zu entwickeln: traditionelle Familien
(Vater arbeitet, Mutter ist zuhause), modernisierte Familien (z.B. beide sind
berufstätig, verbinden Erwerbs- und Familienarbeit oder praktizieren einen
Rollentausch), „neue Eltern“ (alleinerziehende Mütter und Väter,
„Regenbogenfamilien“), zusammengesetzte Lebens- und Familienformen (Stief- oder
Fortsetzungsfamilien, Wohn- und Lebensgemeinschaften). Hilfreich ist dabei die
Reflexion der eigenen Familiengeschichte und des eigenen Familienbilds.
Familien stärken, heißt dann, sich offen und einladend für alle Familienformen
zu zeigen und die eigene Praxis entsprechend zu gestalten von der Anmeldung,
Aufnahme und Eingewöhnung über Elterngespräche und Angebote der Elternbildung
„für alle“ bis hin zur Gestaltung von Festen.“
Gunter Neubauer setzt einfach voraus, Patchwork sei das
neue Familienbild, obwohl das weder in der Politik noch in der Gesellschaft so
ist. Es leben zwar viele Menschen in Verhältnissen, die nicht der
traditionellen Familie entsprechen, dennoch wird diese als die ideale
Partnerschaftsform von einer großen Mehrheit angesehen. Für die Genderisten
spielt das keine Rolle. Sie haben die Wahrheit schon anders definiert.
Auch „Diversity“ bzw. “Akzeptanz sexueller Vielfalt“ darf
in der Kita nicht fehlen, denn „Respekt und Toleranz für die moderne Vielfalt
von Geschlechterrollen, Geschlechtsidentitäten und Familienformen“ seien zu
fördern – bei dreijährigen Kindern!
Offensichtlich sollen die Kitas die Kinder lebenslang
prägen. Die Aufgabe der Kitas ist, aus den Kindern den neuen genderkonformen
Menschen zu basteln: „Bei der Entwicklung von Gehirnstrukturen gibt es kein
voreingestelltes biologisches Programm, das Entwicklungen absolut determiniert.
Das Gehirn ist vielmehr ein biosoziales Organ, das sich nur in der Interaktion
mit der natürlichen, vor allem aber der sozialen Umwelt entwickeln kann.
Insofern ist jedes Gehirn das Ergebnis seines Gebrauchs (Gerald Hüther). Daraus
folgt eine große Offenheit für kulturelle Prozesse.“
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die
Genderisten wollen nicht bloß die Ansichten, Meinungen, Anschauungen ändern,
was ja auch jede politische Partei oder Kirche anstrebt: Nein, ihr Ziel ist die
Veränderung des menschlichen Gehirns um so eine lebenslange Prägung zu
erzielen! In der Antike wurden Sklaven Brandzeichen auf die Haut gesetzt. Heute
wird die Gender-Ideologie ins Gehirn eingebrannt, um aus den Menschen Sklaven
dieser Ideologie zu machen.
Spätestens an dieser Stelle versteht man, wieso die
Gender-Revolution mit den dreijährigen Kindern durchgeführt werden muss. Die
Genderisten wissen: je jünger ein Gehirn, desto beeinflussbarer ist es.
Die Hartnäckigkeit, die Zielstrebigkeit aber auch die
Bosheit, mit der die Genderisten vorangehen, ist erschütternd. Unfassbar auch,
wie die Union diese Revolution gefördert hat. Eine C-Politikerin,
Bundesfamilienministern Ursula von der Leyen während der Großen Koalition
2005-2009, hat die entscheidenden Maßnahmen zur Durchsetzung des
Gender-Mainstreamings in Deutschland durchgeführt.
Diese Revolution konnte nur im Stillen durchgeführt
werden, so ungeheuerlich ist sie. Würde die große Mehrheit der Menschen
erfahren, welche radikalen Fanatiker da am Werk sind, wäre ihre Durchführung
nicht möglich. Doch die Erfahrung zeigt, dass man sich nicht groß auf die
Politik verlassen darf. Wie in vielen anderen Themenbereichen auch, kann nur
der Protest der Basis der Gesellschaft, also des Volkes selbst, diesen Angriff
auf die Kindheit abwenden.
(aus „Junge Freiheit“ vom 10.03.2014 unter dem Titel „Angriff auf die Kindheit“)
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