Sonntag, 13. Juli 2014

Sturm auf die Bastille II

Aus „Dieses ist der Mittelpunkt der Welt - Pariser Tagebuch 1788/1789“ von Wilhelm von Wolzogen.
(Die Schreibweise des Originals wurde zum großen Teil beibehalten)

Paris, am 13. Juli 1789
Sturm auf das Kloster St. Lazare

Vor Paris und seine Innwohner war dieser Morgen der gefährlichste, indem die große Anzahl von schlechtem Gesindel, die in der Stadt war und nichts zu verlieren hatte, in Waffen war, ohne Ordnung hin- und herzog und viel Unfug verführte. Sie schossen und schrien u. insultierten, wem sie begegneten. Ein Kerl schlug gerade auf unser Haus - ich lag am Fenster -, er drückte los, und der Pfropf fuhr mir unter die Nase.
Gegen 13 000 Mann hatte man etl[iches] vorher
Sturm auf das Kloster St. Lazare
Beschäftigung in der Vorstadt Montmartre gegeben. Diese fielen über das große und reiche Kloster St. Lazare her, steckten es in Brand, raubten das Getreide heraus, fielen in [den] Keller ein und betranken sich da so voll, daß viele bei dem Feuer liegenblieben und da verbrateten. Zugleich stürmten sie auf die Barrieren ein, rissen sie zusammen und verbrannten sie auf den Grund und jagten die Commis fort. Wo sie Wein wußten, fielen sie ein; die Schiffe, die mit Fässer voll davon am Ufer lagen, wurden rein ausgeplündert. Die auf den Straßen wandelten, wurden

mit fortgerissen; man konnte nicht widerstehen und mußte nur eine Gelegenheit ersehen, um wieder durchzukommen. Viele Fremde und Einheimische wollten sich retten; keine Equipage aber wurde hinausgelassen. Es ließen sich zwar hier u. da Dragoner, Husaren u. Schweitzer sehen, man sah aber ein, daß nichts auszurichten [war]; und sie zogen sich daher zurück. Jetzt fing man auch an, Cocarden zu tragen; im Anfang grün; da man aber darauf kam, daß das des Graf Artois Livrée [war], so veränderte man sie in blau u. rot u. weiß.
Wer keine Cocarde trug, wurde arretiert. Heute war es auch, daß man in das Gardemeuble einfiel. Diese Unordnung[en] wurden endlich so stark, die Furcht, daß der König Truppen würde anrücken lassen, vermehrte sich so sehr, daß die Bürger durch die Sturmglocke, die zwar immer geläutet wurde, in ihre verschiedene Kirchspiele versammlet und eine Bürgermiliz aufgestellt wurde. Man consignierte demnach die verschiedenen Innwohner der Häuser, stellte Hauptmannschaften, Corporalschaften auf; und nun sah man ordentliche Bürgerpatrouillen unordentlich genug durcheinander; doch war man jetzt sicherer für das Lumpengesindel. Alle alten Waffen wurden hervorgesucht: Dieser hatte nur einen Ladstock, jener eine Degenklinge ohne Gefäß, jener einen Morgenstern, wieder ein anderer einen krummgezogenen Büchsenlauf. Flinten von besonderer Einrichtung, alte Räuberpistolen von ungeheurer Länge, Gewehre ohne Schlösser, Schäfte ohne
Läufe, Läufe ohne Schäfte: alles galt, wenn es nur zu einer Waffe jemals gehört hat. Die Verschiedenheit der Waffen, die man sah, wenn man in den Straßen herumging, übertrifft alles, was man jemals in Zeughäusern gesehen hat. Es war ein herumgehendes Waffencabinet.



(Herausgegeben von Eva Berié und Christoph von Wolzogen, S. Fischer Verlag 1989)

Keine Kommentare: