Das Wort „Ritter“ bezeichnet ursprünglich einen Reiter, d. h. einen sich des Pferdes zur Fortbewegung bedienenden Mann. Schon früh indessen hat es die speziellere Bedeutung eines bewaffnet zu Pferde Kriegsdienste leistenden Mannes von vornehmem Range erhalten. Aus dieser Bedeutung entwickelten sich die Begriffe des Ritterstandes, des Rittertums und der Ritterlichkeit. Umfasst nun derjenige des Rittertums noch lediglich alle jene Verhältnisse, mit welchen der Ritterstand im Zusammenhange steht, und bezieht er sich auf eine bestimmte Zeit, nämlich auf diejenige, in welcher der Ritterstand wirklich ein abgeschlossener Stand war, also auf das spätere Mittelalter und den Anfang der neuern Zeit, und zwar vorzugsweise auf das Abendland, d. h. das Gebiet der lateinischen Kirche, so hat dagegen der Begriff der Ritterlichkeit einen weitem Umfang erlangt, indem er den Inbegriff derjenigen Eigenschaften umfasst, welche zur Zeit des Rittertums eine Zierde des Ritterstandes bildeten. In diesem Umfange bezieht er sich denn auch auf Zeiten und Gegenden, in welchen das Rittertum als solches nicht mehr besteht oder niemals bestanden hat. Seitdem aber dasselbe aufgehört hat zu bestehen, hat auch das Wort „Ritter“ eine ganz andere Bedeutung erhalten und bezeichnet einerseits das Mitglied eines Ritterordens und anderseits eine Stufe des niederen Adels.
Bei diesem Wechsel der Begriffe ist es denn nicht anders möglich, als dass derjenige der Ritterlichkeit im Verlaufe der Kulturentwicklung mit Zuständen und Verhältnissen, die denen des Rittertums mehr oder weniger ähnlich sind, bald in engerem, bald in weniger engem Zusammenhange steht; ja es kann sogar der Fall eintreten, dass er in einer dem Rittertum ähnlichen Verfassung weniger hervortritt, als in einer ihm unähnlichen. Zu den oben angedeuteten Lichtseiten des Rittertums, die wir als "Ritterlichkeit" zu bezeichnen gewohnt sind, gehören besonders: die Tapferkeit im Kriege, die Großmut gegenüber den Besiegten, die Höflichkeit gegenüber den Damen, die Gastfreundlichkeit und die Treue gegen die Vorgesetzten.
In den Zeiten des Rittertums kam dazu noch die Freude an Musik und Poesie und sehr oft die eigene Übung dieser Künste, was heute beides nicht mehr unter „Ritterlichkeit“ verstanden wird, während kaum jemand die Gewandtheit in allerlei Sport (besonders Jagd, Reit- und Fechtkunst) von diesem Begriffe trennen wird. Dem Rittertum in irgendwelcher Weise entsprechende Verhältnisse, d. h. mehr oder weniger organisierte Wehrkräfte höheren Ranges haben wohl alle zivilisierten Staaten von jeher gehabt; aber auch wo diese fehlen, bei den sog. Naturvölkern, werden wir Spuren der Ritterlichkeit vorfinden.
(Aus „Geschichte des Rittertums“ von Otto Henne am Rhyn)
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