Mittwoch, 9. August 2017

„Die Kirche Christi hat immer Zukunft!“

Nach der Messe

Robert Spaemann

Reinhard Bingener hat in der FAZ die Ergebnisse der „neuen Mitgliederuntersuchung der EKD“ dargestellt („Erosion auf fast allen Ebenen“ 10.03.2014). Dabei handelt es sich um eine repräsentative Umfrage, die sich auf Kirchenmitglieder, aber auch auf Ausgetretene und Konfessionslose, die nie Kirchenmitglieder waren, erstreckt. Das Ergebnis bezeichnet Bingener mit „Stabilität des Abbruchs“. Was ist das Besondere und Neue das diese Untersuchung zu tage fördert, und warum ist das Ergebnis auch für Katholiken von Bedeutung? Vielleicht, dass es im „eigene Haus“ relativ günstiger aussieht, weil die Kirchenaustrittszahlen um 30% bis 40% niedriger liegen? Nein! Die festgestellten existenzgefährdenden Entwicklungen gelten auch für die katholische Kirche in Deutschland.
Beginnen wir mit der Begründung für die Kirchenaustritte. Die Kirchensteuer ist „in der Rangfolge ... deutlich zurückgefallen hinter der Feststellung: „Ich brauche keine Religion fürs Leben“. Die Aussage des Kirchenpräsidenten Peter Steinacker von 2006: „Der Kirchenaustritt wird primär kirchen- und nicht religionskritisch begründet“, ist überholt! „Konfessionslosigkeit“, ein „gefestigter Unglaube“ ist „zu einer  selbstverständlichen Option der Lebensführung in Deutschland geworden“.
Die geringere Bildungskraft der Kirchen hat nach dem Leiter des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD Gerhard Wehner nicht dazu geführt, dass „nicht institutionalisierte Frömmigkeit und Patchworkreligion“ zugenommen haben. Die Feststellung lautet: „Ohne religiöse Praxis und kirchliche Bindung erodiert auf die Dauer die Christliche Überzeugung . . .  wer sich einmal von der Kirche losgesagt hat, der entwickelt später nur selten spirituelle Sehnsüchte“. Die niedrige Zahl der Wiedereintritte in die Kirche belegt diese Aussage.
Da die religiöse Erziehung in der Kindheit von größter Bedeutung auch für die spätere religiöse Bindung ist. sind folgende Untersuchungsergebnisse für Westdeutschland nicht nur für die Protestanten, besorgniserregend: So sagen die über 66 Jahre alten Kirchenmitglieder zu 83%, sie seien religiös erzogen worden, bei den 30 bis 45 jährigen äußern das nur noch 67% und bei den 14 bis 21 jährigen nur mehr 49%.
 „Für die Kirche“, so Bingener, „gewinnen die Befunde an Dramatik, weil vieles für die Unumkehrbarkeit und Potenzierung dieser Prozesse spricht . . . stoppen oder gar umkehren lassen wird sich die Erosion der Mitgliedschaft, das ist in Anbetracht der Ergebnisse unabwendbar, auch durch größtes Bemühen nicht . . . die bisherige Erfahrung lehrt allerdings, dass es in Teilen der Führung der evangelischen Kirche keine Scheu gibt, hartnäckig an den empirischen Kenntnissen vorbei zu arbeiten.“
Diese defaitistische Schlussfolgerung von Bingener mag richtig sein, wenn sich die Erstverantwortlichen für den Glauben – bei den Katholiken sind das die Bischöfe – wie Konkursverwalter verhalten. Die Kirchengeschichte widerlegt jedoch diese Behauptung von der „Unumkehrbarkeit“ der Entwicklung. Richtig ist: Glauben kann man nicht machen, wohl aber kann man sich um gute Voraussetzungen für eine Neuevangelisierung bemühen. Weil dafür  wenig geschieht, setzt sich der Abwärtstrend fort. So finden sich auch für den katholischen Bereich ähnliche Feststellungen wie bei den Protestanten: „Die christlichen Kirchen müssen nach Einschätzung von Wissenschaftlern selbst bei intensiven Reformbemühungen weiter mit sinkenden Mitgliederzahlen rechnen. ,Der Mitgliederschwund ist nahezu unaufhaltsam' , erklärte der Religionssoziologe Detlef Pollak“ (KathNet, 02.11.13) Der Leiter des Augsburger Gebetszentrums, Dr. Johannes Hartl, stellte fest: „Die Krise der Kirche ist eine gewaltige Chance der Bekehrung.“ Auch Hartl geht davon aus, dass die Volkskirche stirbt. Er sieht dafür aber andere Gründe als Pollak: „Wenn die Leiter der Kirche jetzt die Zeichen erkennen, werden sie nicht 90% ihrer Kraft verwenden, um Strukturen zu stützen, die sich schon mittelfristig erübrigen werden, sondern ihr Geld, ihre Kreativität und ihre immensen personellen  Möglichkeiten nutzen, an etwas Zukunftsfähigen zu bauen. Leider sehe ich die Bereitschaft zu solch innovativem Denken noch nicht an vielen Stellen.“ (12.02.2014 KathNet)


Hinsichtlich der Neuevangelisierung gewinnt man im katholischen Deutschland den Eindruck: Was an Anregungen aus Rom kommt, wird weit hin negiert. Was man selber will, wir nicht deutlich und ebenso wenig, ob man überhaupt wollen will. Dabei liegen einige Voraussetzungen für die Neuevangelisierung auf der Hand:
Wenn man nicht schätzen kann, was man nicht kennt und seit Jahrzehnten bekannt ist, dass der Religionsunterricht nach acht bis neun Jahren nicht einmal dazu führt, dass die Schulabgänger die Grundelemente ihres Glaubens vermittelt bekommen, sind Korrekturen überfällig.
Wenn ferner bekannt ist, dass die Kinder von ihren Eltern immer weniger in den Glauben eingeführt werden, dann muss auch die Ehevorbereitung neu konzipiert und geordnet werden.

Trotz der genannten Defizite und Versäumnisse gibt es „missionarischen Funkenflug“ z.B. in der Nightfeverbewegung. Sie nahm ihren Anfang auf dem Weltjugendtag 2005 in Köln, als es erstmalig bei einer Vigil eine Eucharistische Anbetung mit Beichte für die Jugend gab. Inzwischen breitet sich Nightfever rasch aus. Vom 16. bis 18. März trafen sich in Fulda 170 begeisterte Jugendliche aus dem gesamtdeutschen Sprachraum zu einem Internationalen Nightfeverwochenende. Der Fuldaer Bischof Heinz Josef Algermissen sieht in der Nightfeverbewegung ein neues Pfingsten. In seiner Predigt sagte der Bischof: „Ich setze auf euch, dass ihr der neue Anfang seid. Unsere Kirche braucht euch. Helft auch uns Bischöfen, Dinge zu sehen, die wir sonst übersehen. Das ist eure Aufgabe. Nur so könnt ihr helfen, dass das österliche Licht in unsere Kirche aufbricht“.


Quelle: Der Fels – Katholisches Wort in die Zeit – 45. Jahr – Mai 2014

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