Dienstag, 24. Juli 2012

Europa und das Lebensrecht


Europa und das Lebensrecht

Mathias von Gersdorff
Viele Theologen sagen, dass Unser Heiland zur Welt kam, als die Antike Welt nicht mehr in der Lage war, den Menschen Visionen, Hoffnungen und Zukunftsperspektiven und Gewissheiten anzubieten. Das Licht der antiken Welt war dabei zu erlöschen. Der antike Mensch der Zeitenwende war ein Skeptiker, ein müder Agnostiker, der nichts mehr glaubte. „Was ist Wahrheit?“, fragte Pilatus Unseren Herrn Jesus Christus (Joh 18, 38). Zuvor hatte der Heiland ihm gesagt: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18, 37). Hier begegnen sich zwei Menschen, die zwei Epochen der Menschheit verkörpern: Der alte Mensch, dessen Geisteszustand keinen Zugang mehr zur Wahrheit hat, der gar nicht mehr in der Lage ist, zu erkennen, was Wahrheit ist, begegnet dem neuen Menschen, der durch die Gnade neugeboren ist und in der Nachfolge Christi die Wahrheit erkennen kann. Das Licht der Antike trat ab, um einem neuen Licht Platz zu machen: Dem Lumen Christi, dem Licht Christi. Was daraus folgte, kennen wir: Es ist die Christenheit, die insbesondere in Europa eine Zivilisation aufgebaut hat, für die dieser Kontinent lange bewundert und beneidet wurde. Die Menschen in Europa folgten Dem, der die „Wahrheit, der Weg und das Leben“ ist und waren somit fähig, Werke zu vollbringen, die an Größe, Glanz und Schönheit weit die der Antike überragen.
Doch etwa 2000 Jahre nach der Geburt des Heilandes ist Europa dabei, das Licht Christi auszulöschen –  freiwillig! Was darauf folgt, wissen wir aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts zur Genüge: Tod, Zerstörung, Untergang der Zivilisation. Trotz der Verwüstungen der beiden Weltkriege, des Nationalsozialismus und des Kommunismus sind die Menschen in Europa nicht bereit, sich zu bekehren und sich Christus und Seiner Kirche zuzuwenden. Ganz im Gegenteil: Viele Medien und politische Institutionen versuchen stets, das Licht Christi auszulöschen.

Europaweite Legalisierung der Abtreibung


Am 1. Dezember 2011 hat das Europa-Parlament erneut eine Resolution verabschiedet, die eine europaweite Einführung der Abtreibung fordert. Eine „sichere und legale Schwangerschaftsunterbrechung und Betreuung nach der Schwangerschaftsunterbrechung (sic)“ (Entschließungsantrag P7TA[2011]0544, § 22) soll helfen, die AIDS-Krankheit zu bekämpfen!
Das ist aber nicht das erste Mal im Jahr 2011, dass das Europa-Parlament eine solche Dreistigkeit beschließt. Am 8. März des selben Jahres haben die Fraktionen linksgerichteter Parteien im Europäischen Parlament eine Resolution beschlossen, die ein „Recht auf Abtreibung“ fordert. Das Europäische Parlament will, „dass Frauen . . .  ein Recht auf einen sicheren Schwangerschaftsabbruch haben“ (Entschließung vom 8. März 2011, Punkt 25).
Die Tatsache, dass die Abtreibung in etlichen Ländern der Europäischen Union rechtswidrig (beispielsweise Deutschland) oder gar verboten (Polen, Malta) ist, scheint vielen Europarlamentariern schlichtweg egal zu sein. Trotzdem: Immer wieder fordern sie die Einführung der Abtreibung oder gar ein Recht darauf, wohl mit dem Ziel, die Gegner, also die Katholische Kirche und die Christen in Europa generell, mit der Zeit mürbe zu machen.

Ein solches Europa kann nicht gelingen


Papst Benedikt XVI. sagte am 4. Februar 2011 in einer Ansprache an den neuen österreichischen Botschafter: „Der Bau eines gemeinsamen „Hauses Europa“ kann nur gelingen, wenn sich dieser Kontinent seiner christlichen Fundamente bewusst ist und die Werte des Evangeliums sowie des christlichen Menschenbildes auch in Zukunft das Ferment europäischer Zivilisation sind. Mehr als die christlich abendländische Kultur wiegt der gelebte Glaube an Christus und die tätige Nächstenliebe, die sich am Wort und am Leben Christi wie auch am Vorbild der Heiligen orientiert.“
Wir erleben aber zurzeit genau das Gegenteil: Die Zerstörung der christlichen Wurzeln Europas.
Eine Besserung ist nicht in Sicht. Die Bürger Europas werden seit Monaten täglich mit Nachrichten über die Krise des Euros überschwemmt. Wie dieses Kapitel enden wird, kann im Detail noch kein Mensch sagen. Doch eines ist jetzt schon sicher: Es wird mehr Zentralisierung in Europa geben. Und das bedeutet nicht nur weniger Souveränitätsrechte hinsichtlich Fiskal- und Wirtschaftspolitik, sondern auch mehr Druck Europas auf die Länder, die Widerstand gegen eine liberale Gesellschaftspolitik leisten: Ungarn, Polen usw. Immer weniger werden diejenigen geduldet werden, die „aus der Reihe fallen“.
In diese Entwicklung reiht sich die Wahl am 17. Januar 2012 von Martin Schulz zum Präsidenten des Europäischen Parlaments. Schulz ist der Vorsitzende der „Progressiven Allianz der Sozialisten und Demokraten“ und einer der am weitesten links stehenden Politiker Europas. Die Wahl von Schulz fällt just zu einem Zeitpunkt, da man dem Europa-Parlament mehr Gewicht geben will. Die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ sprach von einem „Aufstand des Europäischen Parlaments“, der von Martin Schulz angeleitet werden soll. Der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Sigmar Gabriel, forderte ein „neues“ Europa-Parlament, das als Gegengewicht zu den beiden anderen europäischen Großinstitutionen, der EU-Kommission und der Runde der Staats- und Regierungschefs, stehen würde. Gabriel wörtlich: „Der erste Präsident dieses neuen Europäischen Parlamentes muss Martin Schulz werden.“
Hoffnung ist eine Grundeinstellung der christlichen Mentalität, und deshalb soll man nicht in Fatalismus verfallen, sondern mit Zuversicht in die Zukunft blicken. Und dafür gibt es durchaus Gründe. Wahrscheinlich einer der wichtigsten ist die Tatsache, dass sich auf europäischer Ebene eine Zivilgesellschaft, eine Gegenöffentlichkeit, bildet, die nicht mehr bereit ist, alles, was aus Brüssel kommt, zu dulden, sondern zu reagieren. Dies ist neu. Noch bis vor kurzem wurde von den hier geschilderten Missständen keine Notiz genommen. Hier ist aber noch viel Arbeit zu tun. Es ist wichtig, dass die christlichen Kräfte entschlossener gegen die antichristlichen Tendenzen in der EU vorgehen als bisher. Dazu hat der Präsident des neuen Päpstlichen Rates für Neuevangelisierung, Erzbischof Rino Fisichella, aufgerufen, als er beklagte, „In Europa nehmen wir auf dramatische Weise eine zunehmende Christianophobie wahr, die sich auch in Ländern mit alter christlicher Tradition zeigt.“
Die Krise des Euros selbst hat ebenfalls dazu beigetragen, dass die Haltung der Mehrheit –  „die da oben werden das schon richten“ –  verflogen ist. In Zukunft wird es nicht mehr so einfach für die Kommission sein, Beschlüsse oder für das Parlament, Entschließungen zu verabschieden, ohne dass eine aufmerksame und kritische Öffentlichkeit diese analysiert und bewertet.

Vertrauen in Gott


Doch unsere größte Zuversicht finden wir dort, wo sie die Christen seit 2000 Jahren gefunden haben: Im göttlichen Erlöser, unserem Herrn Jesus Christus. Von Ihm selbst sind wir dazu berufen, zu wirken, damit Sein Licht, das Lumen Christi, nicht auf dieser Welt erlischt, und Er wird dies auch nicht erlauben, wenn wir bereit sind, Seine Instrumente für Sein Heilswerk zu sein. Beten wir zu Ihm: „Adveniat Regnum tuum“ – Dein Reich komme. Auch nach Europa, diesem Kontinent, der sich so von Ihm abgewendet, aber in der Vergangenheit auch große Gesten der Treue und der Hingabe gezeigt hat, die zu Vertrauen in die göttliche Barmherzigkeit Anlass geben.