Donnerstag, 22. Januar 2015

Im Schoß der Familie


Jahrhundertelang war die Familie ein Bollwerk gegen die „feindliche“ Außenwelt, ein zuverlässiger Zufluchtsort, aber auch ein „Sprungbrett“ ins Leben. Die Familie war eine festgefügte, solidarische Gemeinschaft, die allen, die ihr zugehörten, Schutz und Sicherheit bot, Hilfe in kritischen Situationen, Unterstützung in allen Lebenslagen, Trost und Rat, Aufmunterung und Rückenstärkung.
Als kleinste Lebenszelle der Gesellschaft hatte sie auch ihre eigenen Gesetze, gegen die man nicht ungestraft verstoßen durfte – wer sich außerhalb der Familie stellte, wer aus der Gemeinschaft der Sippe ausbrach, bekam dies meist sehr unangenehm zu spüren. Diese älteste und solideste aller gesellschaftlichen Institutionen übte, unbeirrt vom Wandel der Meinungen, in allen Gesellschaftsordnungen ihre wichtigsten Funktionen aus: Sie allein konnte den Kindern innerhalb ihres Bereichs ein notwendiges festes Maß an Fürsorge zuteil werden lassen, sie bestimmte, durch ihren sozialen Status und durch ihren psychischen Einfluss, weitgehend den Platz, den ihre Mitglieder im späteren Leben einnahmen. Sie vermittelte die erste Lebensorientierung und die „emotionale Erhaltung“ durch die Fürsorge, die Liebe und die seelische Nähe, die die Familienmitglieder einander angedeihen ließen. Die Familie war auch in der wilhelminischen Gesellschaft Mittelpunkt und Richtschnur für alle ihre Mitglieder. Sie bildete eine Gemeinschaft, in der die Generationen einander zugehörig fühlten, die die Kraft hatte, die „Verwandtschaft“, auch die angeheiratete, völlig zu integrieren — und das Leben dieser Gemeinschaft, ihr Schicksal, die „Familienmeinung“ — das ging alle an! Zu jener Zeit war „die Großfamilie“ noch gang und gäbe.


Quelle: „Die gute alte Zeit im Bild“ – Alltag im Kaiserreich 1871-1914 in Bildern und Zeugnissen präsentiert von Gert Richter. Bertelsmann Lexikon-Verlag, 1974.

Keine Kommentare: