Samstag, 12. Juli 2014

Sturm auf die Batille I

Aus „Dieses ist der Mittelpunkt der Welt - Pariser Tagebuch 1788/1789“ von Wilhelm von Wolzogen.
(Die Schreibweise des Originals wurde zum großen Teil beibehalten)



Paris, am 12. Juli 1789 Spätnachmittags

Jetzt gingen wir nach Haus. Als wir schon in der Barriere waren, erfuhren wir, daß in Paris ein großer Aufruhr ausgebrochen sei.

Ich begab mich demnach sogleich nach Hause. Unterwegens begegneten mir schon Bürger mit Gewehren u. Säbel und schlugen die Läden der Epiciers ein, um Fackeln daraus zu nehmen. Wirklich war auch der Lärm allgemein. Die Unruhen waren entstanden durch Anrückung des Regiments Royal allemand mit dem Prinzen Lambesc an der Spitze, um die Gardes française zum Gehorsam zu bringen; plötzlich rückte es an in die Champs Elysées. Einige Garden, die da waren, retirierten sich in die Tuelerien. Der Prinz Lambesc bekam einen Wurf an [den] Kopf; er sahe den Täter, verfolgte ihn und gab ihm bei der Pont tournant einen Hieb in [den] Kopf und ritte so dann mit dem Regiment in die Tuelerie herum. 
Hier waren eine große Menge Spaziergänger, wie es sonntags bei schönem Wetter gewöhnlich ist. Die Damen kamen in die größte Furcht! Alles suchte sich zu flüchten und brachte dadurch einen unbeschreiblichen Alarm in die Stadt. Die Bürger, kurz, alles, was aufgelegt, Waffen zu tragen, griff dazu. Auf dem Rathaus wurden eine Menge Flinten ausgeteilt. Wo man nur Waffen wußte, die wurden weggenommen, die Läden der Fourbisseurs (Schwertfeger) forciert und aller Vorrat herausgerissen, das Gardemeuble bestürmt, und die alten Flinten u. Säbel mußten hervor. Die Garde française verteilte sich unter diese unbezähmte Truppen. In allen Straßen hört man Waffengetümmel, die Sturmglocken wurden geläutet, die Leute, die nicht mitmachen wollten, forciert, die Waffen zu ergreifen und mitzuziehen.
Es war wirklich gefährlich: nicht sowohl wegen dem Feind, gegen den man zage, als wegen der Ungeschicklichkeit der Bewaffneten, die, ungeübt, Waffen zu tragen, sich selbst oft mit verwundeten. Bloße Säbels, Gewehre mit Bajonetts, Pistolen, Hellebarden, lange Stöcke mit Messer, Sensen etc. oben daran, wurden so nachlässig auf den Achseln getragen, so mit herumflanquiert, daß man nicht sicher, wenn man auf den Straßen ging, auch wenn man ihnen folgte, [nicht] verwundet zu werden. Ich habe selbst gesehen, daß einer, der einen alten Säbel auf der Schulter gerade liegen hatte, einen andern, der hinter ihm stunde, als er schnell zurücktrat, den Degen in [den] Hals hineinstieß, daß er plötzlich tot zur Erde niedersank. Dieser Lärm dauerte die ganze Nacht fort.

(Herausgegeben von Eva Berié und Christoph von Wolzogen, S. Fischer Verlag 1989)

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